Islamistische Radikalisierung und Prävention

In der Wissenschaft gibt es keinen Konsens zu den Hauptfaktoren islamistischer Radikalisierung. Manche Forscher finden vor allem psychologische und individuelle Gründe, andere betonen den politischen Kontext. Eine Übersicht.

Wie läuft islamistische Radikalisierung ab, wie kann sie erkannt werden und welche Prävention gibt es? Das erklärt der Islamwissenschaftler Dr. Yunus Yaldiz hier im Interview.

Welche Faktoren begünstigen islamistische Radikalisierung?

Die Forschung ist sich uneins, was die Hauptgründe für Radikalisierung sind. Während "westliche" Wissenschaftler*innen Pull- und Push-Faktoren besonders aus der psychosozialen Perspektive beleuchten, legen Forschende aus der WANA-RegionWestasien und Nordafrika den Schwerpunkt auf den politischen Kontext. Deshalb gibt es bis heute keinen Konsens über die Hauptfaktoren.QuelleBondoji N., Wilkinson K., Aghabi L. (2016): Understanding Radicalisation, S. 13, Link.

Um Faktoren für Radikalisierung von in Deutschland lebenden Islamisten herauszuarbeiten, hat eine Kurzanalyse des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Biografien von ausgereisten Islamisten und Attentätern untersucht. Demnach waren 81 % dieser ausgereisten Personen Männer mit Einwanderungsgeschichte. Die meisten von ihnen waren in Deutschland geboren oder im Kindesalter nach Deutschland gekommen und hatte eine deutsche Staatsbürgerschaft. Grund für die Radikalisierung seien Exklusions- und Diskriminierungserfahrungen. Diese können individuell sein oder sich auf die wahrgenommenen globalen Ungerechtigkeiten gegenüber Muslim*innen weltweit fokussieren. Allerdings seien Menschen mit Einwanderungsgeschichte nicht per se anfälliger für Radikalisierung, sondern die Einwanderungsgeschichte werde häufig zur Anwerbung ausgenutzt.QuelleForschungszentrum BAMF (2024): Kurzanalyse - Gibt es einen Nexus zwischen Migration und Radikalisierung?, S. 3-5, Link.   

Auch Deutsche, die zum Islam konvertieren, wendeten sich der Analyse nach im Vergleich zu nicht-konvertierten Muslimen häufiger dem extremistischen Islamismus zu. Die erhöhte Anfälligkeit kann etwa durch mangelnde religiöse Bildung oder das Gefühl, den eigenen Glauben beweisen zu müssen, begründet werden. Dennoch stellen radikalisierte Konvertit*innen nur eine kleine Minderheit dar.QuelleForschungszentrum BAMF (2024): Kurzanalyse - Gibt es einen Nexus zwischen Migration und Radikalisierung?, S. 5, Link.

Was gibt es zur Prävention islamistischer Radikalisierung?

Es gibt in jedem Bundesland Präventionsprojekte sowie eine bundesweite Struktur, die die Projekte vernetzt. Dazu gehören das Kompetenznetzwerk Islamistischer Extremismus und die Bundesarbeitsgemeinschaft religiös begründeter Extremismus.

Einen Überblick zu Anlaufstellen bieten die Plattform MAPEX sowie die seit 2015 geführte Datenbank der Bundeszentrale für politische Bildung. Zusätzlich gibt es eine Zusammenfassung von Projekten. 

Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wurde 2012 eine zentrale "Beratungsstelle Radikalisierung" mit einer Hotline geschaffen. Seit der Schaltung der Hotline sind dort etwa 5.500 Anfragen eingegangen (Stand Ende 2023). 2023 wurde mit 313 Anrufen ein Höchststand erreicht. Die Beratungsstelle ist Teil eines bundesweiten Beratungsnetzwerks, das aus 13 zivilgesellschaftlichen und vier staatlichen Angeboten besteht.Quelle Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (2022): 10 Jahre Beratungsstelle Prävention; Bundestagsdrucksache 19/13991, S. 13, BAMF (2024): Jahresbilanz 2023, Link

Nach den Anschlägen in Mannheim und Solingen gründete die Bundesregierung eine Task Force zur Islamismusprävention. Die Taskforce soll Handlungsempfehlungen zu Präventions- und Distanzierungsarbeit erarbeiten. Der erste Schwerpunkt liegt auf der Online-Radikalisierung junger Menschen.QuelleBMI (2024): Neue Initiative zur Bekämpfung islamistischer Radikalisierung, Link; BMI (2024): Bundesinnenministerin Faeser beruft neue Task Force Islamismusprävention mit Expertinnen und Experten, Link.