Mediendienst Integration: Frau Prätor, gibt es in Deutschland ein Problem mit „importierter Kriminalität“?
Susann Prätor: Es mag überraschen, aber die Statistiken zeigen: Migration erhöht die Kriminalität in Deutschland nicht. Die Zahl der Ausländer stieg seit 2005 um über 70 Prozent, während die Kriminalitätsrate im gleichen Zeitraum um ca. 14 Prozent zurückging.Quelle
Dass es tendenziell immer mehr Ausländer und immer weniger Kriminalität in Deutschland gibt, scheint nicht durchzudringen.
Das mediale Bild von Migration und Kriminalität ist stark verzerrt. Medien berichten weit häufiger über Kriminalität von Ausländern oder Migranten, als es ihrem tatsächlichen Anteil in der polizeilichen Kriminalitätsstatistik entspricht. Die allermeisten Menschen, die nach Deutschland einwandern, werden nicht kriminell. Der Anteil an Ausländern, die eine Gewalttat in Deutschland begehen, liegt unter einem Prozent.Quelle
Widmen wir uns diesem Prozent: Laut polizeilicher Kriminalstatistik (PKS) werden Ausländer häufiger kriminell als Deutsche. Die PKS zeigt natürlich nur das „Hellfeld“, also die Straftaten, von der die Polizei offiziell erfährt.
Genau. Die PKS kann daher nur einen Teil der Realität abbilden. Ein Beispiel: Fast alle Straftaten, die in der PKS landen, sind durch Anzeigeerstattung dort hineingekommen - genau gesagt 90 Prozent. Und gerade beim Thema Anzeigeerstattung haben wir eine klare Forschungslage, die zeigt: Personen, die als nichtdeutsch wahrgenommen werden, werden öfter angezeigt als Deutsche. Das heißt, eine Straftat von einem Ausländer landet mit höherer Wahrscheinlichkeit in der Kriminalstatistik als eine Straftat von einem Deutschen.Quelle
Auf die PKS sind wir in einem anderen Interview ausführlich eingegangen. Lassen Sie uns in die sogenannten Dunkelfeld-Studien schauen: Hier gibt es Befragungen zu Gewaltkriminalität unter Jugendlichen, die zeigen, dass ausländische Jugendliche häufiger kriminell werden als deutsche.
Ja, Dunkelfeldstudien sind deutlich ergiebiger als die PKS. Dort können weitere Lebensumstände mit abgefragt werden, nicht nur ob jemand kriminell geworden ist und welche Staatsangehörigkeit die Person hat. Durch diese Dunkelfeldstudien wissen wir: Personen haben ein höheres Risiko, straffällig zu werden, wenn sie in Armut leben, schlechten Zugang zu Bildung haben, Opfer von Gewalt werden, in schlechteren Stadtvierteln mit schlechterer Infrastruktur leben und so weiter. Das ist also die Erklärung für Kriminalität, nicht die Nationalität.Quelle

Prof. Dr. Susann Prätor ist Professorin an der Polizeiakademie Niedersachsen. Sie ist Kriminologin und Soziologin. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören unter anderem Migration und Kriminalität sowie Jugendkriminalität.
Von der Herkunft bleibt also nichts mehr übrig, um die Unterschiede in der Kriminalität zu erklären?
Genau so ist es, es gibt keine bzw. deutlich geringere Unterschiede im Gewaltverhalten zwischen deutschen und nichtdeutschen Jugendlichen, wenn berücksichtigt wird, dass nichtdeutsche Jugendliche bestimmten Risikofaktoren für Gewalt häufiger ausgesetzt sind. Dazu gehört neben den bereits angesprochenen sozialstrukturellen Merkmalen wie Armut und geringe Bildung auch das Erleben von Gewalt in der Familie und die Befürwortung eines bestimmten Männlichkeitsbildes. Die meisten Studien dazu wurden unter Jugendlichen durchgeführt. Es ist aber naheliegend, dass diese Erkenntnisse auch für Erwachsene gelten.Quelle
Zusammengefasst: Wenn man deutsche und ausländische Personen ähnlichen Alters, gleichen Geschlechts und mit ähnlichen Lebensbedingungen vergleicht, dann ist das Gewaltverhalten ähnlich. Nun ist es aber so, dass unter den Geflüchteten viele Männer jüngeren Alters sind, die teilweise eigene Gewalterfahrungen gemacht haben – also die genau die Umstände mitbringen, die Risiken für Kriminalität darstellen.
Zum einen würde ich mich da gerne nochmal wiederholen: Der allergrößte Teil der Ausländer wird überhaupt nie straffällig - obwohl insbesondere die Geflüchteten teils schlimme Erfahrungen machen mussten. Wenn wir über den kleinen Teil sprechen, der straffällig wird: Ja, die Geflüchteten haben da ein etwas höheres Risiko. Man muss sich anschauen, was genau zur Kriminalität führt, um Prävention betreiben zu können. Dass jemand Syrer ist, erklärt ja keine Straftat. Das ist so wie zu sagen, dass die Tatsache, dass der Täter ein Mann ist, ein Faktor wäre, der etwas erklärt. Vielmehr muss man fragen: Warum sind es vor allem Männer, die Straftaten begehen? Liegt es an einer bestimmten Sozialisation, an Erwartungen, an der Erziehung?
Wenn wir also konstatieren, dass bei einem jungen geflüchteten Mann, der straffällig wird, nicht die Herkunft, sondern die von Ihnen benannten Faktoren ursächlich sind - was macht das dann für einen Unterschied?
Weil man aus den Faktoren, die das Risiko für Kriminalität bestimmen, auch ablesen kann, was dagegen hilft. Kriminell werden eher Personen, die ausgegrenzt sind oder sich ausgegrenzt fühlen, die unter schwierigen Lebensverhältnissen aufwachsen, Opfererfahrungen machen, die in schlechten Wohnungen leben – oder in Vierteln mit schwacher Infrastruktur ohne Freizeitclubs oder Vereine für Jugendliche. Das gleiche gilt auch für Personen, die keinen oder schlechten Zugang zum Bildungssystem erhalten oder in Armut leben. Dagegen hilft: Investition in die Prävention häuslicher Gewalt, mehr Geld für Freizeiteinrichtungen, Abbau von Hürden zum Arbeitsmarkt und so weiter. Kriminalität und hierbei vor allem Gewalt sind in der Regel eine Folge fehlender Anerkennung auf vielen gesellschaftlichen Ebenen.
Gilt das selbst für Personen, die selber Gewalterfahrungen gemacht haben oder ein gewaltvolleres Männlichkeitsbild verinnerlicht haben?
Ja. Ich habe als Wissenschaftlerin einige Jahre im Strafvollzug gearbeitet. Dort habe ich etwas beobachtet, das auch in Studien sehr gut erforscht wurde: Selbst Menschen, die eine wirklich schwere Vergangenheit haben, selber Gewalt erlebt haben und mehrfach straffällig wurden, können den Weg aus der Kriminalität schaffen – wenn man ihnen durch Arbeit, soziales Umfeld und Anerkennung eine nachhaltige Integration in die Gesellschaft ermöglicht. Auch konkret für Flüchtlinge ist das schon erforscht worden: Je sicherer ihre Bleibeperspektive in Deutschland ist, desto geringer das Risiko, straffällig zu werden. Deutschland kann als Aufnahmegesellschaft die Bedingungen, die Geflüchtete hier vorfinden, selber bestimmen - und somit die Umstände gestalten, die Kriminalität begünstigen oder verhindern.Quelle
Zum Schluss zur aktuellen Debatte: NRW will zukünftig in der polizeilichen Kriminalstatistik die doppelte Staatsangehörigkeit von Tatverdächtigen ausweisen. Der Vorstoß wird damit begründet, dass die Realität gemessen und gezeigt werden müsse.
Das kann ich allein schon wegen der Natur der PKS nicht bestätigen: Die PKS zeigt, wie oben beschrieben, nur einen Ausschnitt der Realität und dann auch noch einen stark verzerrten. Eine differenzierte Erfassung der Staatsangehörigkeit von denen, die polizeilich registriert werden, beantwortet immer noch nicht die Frage, weshalb diese Person straffällig geworden ist. Von daher führt uns das keinen Schritt weiter, sondern leistet vor allem bereits bestehenden Vorurteilen Vorschub. Wenn es wirklich um die Messung der Realität ginge, müssten Dunkelfeldstudien in Auftrag gegeben werden. Das wird aber nicht getan.
Von Donata Hasselmann
Mediendienst-Hintergrundgespräch "Ausländerkriminalität in der polizeilichen Kriminalstatistik" mit Dr. Susann Prätor (Anfangs-Input, 28.3.2025)
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