Abschiebungen

"Vollzug der Ausreisepflicht bleibt eine Herausforderung"

In Deutschland und der Europäischen Union wird über strengere Abschieberegeln debattiert. Was haben bisherige Reformen gebracht und was nutzt die Abschiebehaft? Darüber diskutieren Experten bei unserem Pressegespräch.

Mo., 03. November 2025 10:00 - 10:08

Im kommenden Jahr wollen sich sowohl die deutsche als auch die europäische Politik erneut umfassend mit dem Thema Abschiebung beschäftigen. Die Innenminister der Europäischen Union haben sich auf weitreichende Reformen des europäischen Asylrechts geeinigt. Unter anderem haben sie eine neue Rückführungsverordnung in die Wege geleitet, die in Folge vom EU-Parlament verabschiedet werden soll. Die Verordnung sieht unter anderem vor:

  • Ausreiseentscheidungen (Return Decisions) sollen künftig für alle EU-Mitgliedstaaten, Schweiz, Island, Norwegen und Liechtenstein gelten. Eine Person, die in einem EU-Staat zur Ausreise aufgefordert wurde, gilt somit überall in der EU als ausreisepflichtig und kann abgeschoben werden.
  • Die Ausreiseaufforderung bestimmt kein spezifisches Zielland. Das heißt: Eine ausreisepflichtige Person kann in ihr Herkunftsland oder in einen anderen Drittstaat abgeschoben werden. Das macht es möglich, ausreisepflichtige Personen in Aufnahmeeinrichtungen in Drittstaaten unterzubringen – wie Italien es derzeit in Albanien macht (sogenannte Return Hubs).
  • Ausreisepflichtige Drittstaatsangehörige, die bei der Beschaffung von Reisedokumenten nicht kooperieren, können sanktioniert werden, etwa durch Leistungskürzungen.
  • Die Abschiebehaft wird deutlich erweitert – bis zu zwei Jahre. In einigen Fällen soll es auch möglich sein, Personen länger als zwei Jahre zu inhaftieren.

Das ist die siebte Reform der Gesetzeslage im Bereich Abschiebung in Deutschland in zehn Jahren. Expert*innen aus Verwaltung und Wissenschaft halten den Ausbau und die bessere Vernetzung der Verwaltung für nötig.

Engelhard Mazanke: Direktor des Landesamts für Einwanderung Berlin

„Der Vollzug von Ausreisepflicht bleibt eine Herausforderung für die Verwaltung. Die Zahl der ausreisepflichtigen Personen in Berlin ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Wir haben allerdings kein Problem mit der Gesetzeslage: Wir kamen damit schon vor zehn Jahren gut klar. Wir brauchen also keine neuen Abschiebe-Gesetze.“

„Das Problem liegt bei den Kapazitäten. Das betrifft nicht nur die Kapazitäten in der Abschiebungshaft, sondern auch die für Rückführungen und freiwillige Rückkehr. Die freiwillige Ausreise bleibt der Hauptweg, um die Ausreisepflicht zu beenden: 2025 hatten wir 15.000 freiwillige Ausreisen und 1.700 Zurückführungen. Das ist ein sehr guter Schnitt. Auch bei Abschiebungen ist Berlin unter den Ländern, bei denen der Vollzug am besten funktioniert: Uns werden rund fünf Prozent aller Asylbewerber zugeteilt, und wir schieben sieben Prozent aller zurückgeführten Personen ab – und das, obwohl es bei uns keine Abschiebungshafteinrichtung gibt.“

„Die meisten Ausreisen scheitern nicht daran, dass die ausreisepflichtige Person nicht auffindbar ist, sondern an mangelnden Reisedokumenten. Wenn die Person keinen Pass oder sonstiges Reisedokument hat, nutzt eine Inhaftierung auch wenig. Wir brauchen Ressourcen und eine bessere Vernetzung unter den verschiedenen beteiligten Akteuren: Ausländerbehörden, Gerichten, Bundes- und Landespolizei.”

Hannah Franz, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg

„Die Annahme, dass ein Ausbau der Abschiebungshaft zu mehr Abschiebungen führt, wird nicht von den Daten der vergangenen Jahre bestätigt. Wir haben für eine Expertise des Mediendienst Integration die Zahl der Inhaftnahmen in großen Abschiebehafteinrichtungen und die Zahl der vollzogenen Abschiebungen für den Zeitraum 2021-2025 verglichen. Das Ergebnis: Wir konnten kein proportionales Verhältnis zwischen den zwei Datensätzen feststellen.”

„Tendenziell sind sowohl die Zahl der Inhaftierungen als auch die der Abschiebungen in den vergangenen Jahren angestiegen. Wenn man allerdings die Situation in einzelnen Bundesländern analysiert, stellt man fest, dass eine Zu- beziehungsweise Abnahme der Inhaftierungen keinen direkten Einfluss auf Abschiebungen hat. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass nicht alle inhaftierten Personen abgeschoben werden. In den meisten Bundesländern wurden etwa 20 Prozent der Inhaftierten nicht abgeschoben.”

Franca Röll, Regierungsdirektorin am Regierungspräsidium Karlsruhe, zuständig u.a. für die Abschiebungshafteinrichtung Pforzheim

„Die Abschiebehaft soll qua EU- und deutschem Recht immer die „ultima ratio” sein. Wenn man die Abschiebung anderweitig sichern kann, versuchen wir eine Inhaftierung zu vermeiden. Wir versuchen auch, die Haftzeit möglichst kurz zu halten: 2024 lag die durchschnittliche Aufenthaltszeit in der Hafteinrichtung Pforzheim bei 23 Tagen – also weit unter den 6 Monaten, die in Deutschland als maximale Dauer der Abschiebungshaft vorgesehen sind.”

„Inhaftiert werden prinzipiell Personen, bei denen ein erhöhtes Interesse zur Abschiebung festgestellt wird – wie etwa Straftäter oder Personen, die Probleme in den Behörden oder in ihren Unterküften verursachen. Außerdem auch Personen, bei denen die Vermutung vorliegt, dass sie ohne Inhaftnahme untertauchen könnten oder sich einer Abschiebung widersetzen würden.”