Medien

"Die Berichterstattung prägt die Wahrnehmung von Gewalt"

Fr., 17. Oktober 2025 10:00

In der Kriminalitäts-Berichterstattung wird die Herkunft von Tatverdächtigen vor allem thematisiert, wenn diese Ausländer*innen sind. Diesen Tatbestand hat eine Langzeit-Studie der Hochschule Macromedia in Hamburg in den vergangenen Jahren wiederholt dokumentiert. Die Tendenz hat zuletzt deutlich zugenommen. Ausländische Tatverdächtige sind in den Leitmedien bei der diesjährigen Ausgabe der Studie dreifach überrepräsentiert: in TV-Beiträgen mit 94,6 Prozent und in Print mit 90,8 Prozent.

Laut Pressekodex soll die Herkunft eines Tatverdächtigen genannt werden, wenn "ein begründetes öffentliches Interesse" besteht. Das hat der Presserat 2017 entschieden – zum Teil als Folge der Debatte über die Kölner Silvesternacht 2015-2016. Für viele Journalist*innen bleibt dennoch die Frage, wann und wie die Herkunft oder Staatsangehörigkeit eines Tatverdächtigen gennant werden soll ein sensibles Thema. Bei der Vorstellung der neuen Ergebnisse der Studie zu Kriminalität und Berichterstattung haben Expert*innen bei einem Pressegespräch des Mediendienst Integration über medialen Debatten zu Migration und Kriminalität sowie über Strategien für eine ausgewogene Kriminalitättsberichterstattung gesprochen.

“2015 spielte die Nennung ausländischer Tatverdächtiger in den Medien fast keine Rolle, ab 2023 ist sie jedoch drastisch gestiegen. Die Mediale Berichterstattung prägt die allgemeine Wahrnehmung von Gewalt und Tatverdächtigen. Wenn Medien überproportional oft die Herkunft ausländischer Tatverdächtiger nennen, entsteht in der Gesellschaft leicht der Eindruck, Ausländer seien insgesamt gefährlicher, auch wenn die Polizeistatistik ein anderes Bild zeigt.” 

Prof. Dr. Gina Rosa Wollinger, Professorin für Kriminologie und Soziologie an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW

“Oft wird behauptet, Migration in Verbindung mit Kriminalität sei ein Tabu. Ganz im Gegenteil, Migration wird grundsätzlich als Sicherheitsproblem dargestellt.”

“Medien berichten überwiegend über Delikte, die der Polizei bekannt werden. Die Kriminalstatistik erfasst daher nur die Fälle, die angezeigt oder im Zuge polizeilicher Kontrollen registriert wurden – das sogenannte Hellfeld. Nicht-deutsche Tatverdächtige werden in der ‘Polizeilichen Kriminalstatistik’ überproportional erfasst, da sie unter anderem häufiger angezeigt oder kontrolliert werden. Aus der Statistik wird nicht sichtbar, wie viele Tatverdächtige später tatsächlich verurteilt werden, und es erfolgt auch keine nachträgliche Korrektur.

"In Deutschland leben rund zwölf Millionen Ausländer*innen. 2024 wurden etwa 700.000 als Tatverdächtige registriert. Das bedeutet: 94 Prozent wurden polizeilich nicht auffällig. Die große Mehrheit begeht keine Straftaten – doch darüber wird kaum gesprochen. Aus kriminologischer Sicht spielen vielmehr andere Risikofaktoren eine Rolle, etwa Armut, Perspektivlosigkeit oder eigene Gewalterfahrungen."

Dazu äußerte sich die Kriminologin Prof. Wollinger: 

Medien nennen die Herkunft Tatverdächtiger vor allem, wenn es um Ausländer geht. Dadurch entsteht ein verzerrtes Bild von Kriminalität. Das zeigt eine neue Expertise von Prof. Dr. Hestermann mit dem Mediendienst Integration, die beim Pressegespräch vorgestellt wurde.
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Ausländische Tatverdächtige sind in den Leitmedien dreifach überrepräsentiert: in TV-Beiträgen mit 94,6 Prozent und in Print mit 90,8 Prozent, während die polizeilichen Kriminalstatistik 34,4 Prozent ausweist. Das zeigt die neueste Analyse des Journalismusprofessors Hestermann. Darin vergleicht er die Herkunftsnennung von deutschen und ausländischen Tatverdächtigen in den Medien mit den Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). "Die Zahlen sind so hoch wie nie," so Hestermann.
Verzerrte Wahrnehmung von Gewalt, Tatverdächtige und ihre Herkunft
Der Pressecodex sieht seit 2017 die Nennung der Herkunft bei Tatverdächtigen (Richtlinie 12.1) vor, wenn "ein begründetes öffentliches Interesse" besteht. Zuvor sollte die Herkunft nur dann genannt werden, wenn es einen Zusammenhang zur Tat gab. Die Medien sollen dabei eigenverantwortlich entscheiden und zugleich Diskriminierung bestimmter Gruppen vermeiden, erklärte Protze, Sprecher des Presserats.
"2015 spielte die Nennung ausländischer Tatverdächtiger in den Medien fast keine Rolle, ab 2023 ist sie jedoch drastisch gestiegen," betonte Hestermann. Die Mediale Berichterstattung prägt die allgemeine Wahrnehmung von Gewalt und Tatverdächtigen. Wenn Medien überproportional oft die Herkunft ausländischer Tatverdächtiger nennen, entsteht in der Gesellschaft leicht der Eindruck, Ausländer seien insgesamt gefährlicher, auch wenn die Polizeistatistik ein anderes Bild zeigt, erklärte der Journalismusprofessor. Dazu äußerte sich die Kriminologin Prof. Wollinger: "Oft werde behauptet, Migration in Verbindung mit Kriminalität sei ein Tabu. Ganz im Gegenteil, Migration wird grundsätzlich als Sicherheitsproblem dargestellt."
Muslimische Tatverdächtiger werden in den Medien überrepräsentiert
Die Medienanalyse 2025 beschäftigt sich mit der Frage, ob es Unterschiede zwischen Ausländer*innen gibt. Die Ergebnisse zeigen, dass muslimische Ausländer überproportional abgebildet werden: 70,3 TV /70,1 Zeitung - zum Vergleich zu 15,8 Prozent bei der PKS.
In der Gewaltberichterstattung ist die Polizei meistens die Hauptquelle
Medien berichten überwiegend über Delikte, die der Polizei bekannt werden. Die Kriminalstatistik erfasst daher nur die Fälle, die angezeigt oder im Zuge polizeilicher Kontrollen registriert wurden - das sogenannte Hellfeld. Nicht berücksichtigt wird dagegen das Dunkelfeld, also Straftaten, die nie angezeigt oder entdeckt werden. "Das Hellfeld zeigt nur die Arbeit der Polizei. Es wird nicht sichtbar, wie viele Tatverdächtige später tatsächlich verurteilt werden, und es erfolgt auch keine nachträgliche Korrektur," so Wollinger.
"Nicht-deutsche Tatverdächtige werden in der PKS ebenfalls überproportional erfasst, da sie häufiger angezeigt oder kontrolliert werden und zudem auch Touristen oder Durchreisende mitgezählt sind. Deshalb ist ein Vergleich mit der Herkunftsgesellschaft problematisch, weil sie nicht den Querschnitt abbilden," so Wollinger. Außerdem wird Migration in der PKS nicht direkt erfasst, sondern nur die Staatsangehörigkeit und seit einigen Jahren der "Zuwanderungsstatus"Als "Zuwanderer" bezeichnet das BKA Asylbewerber*innen, Schutzberechtigte und Asylberechtigte, Geduldete, Kontingent- und Bürgerkriegsflüchtlinge sowie Menschen, die sich unerlaubt in Deutschland aufhalten. Damit umfasst die Zahl auch Personen, die gezielt illegal nach Deutschland einreisen, um eine Straftat zu begehen..
Mehr Migration führt nicht zu mehr Kriminalität
Seit über zehn Jahren steigt der Anteil von Menschen ohne deutschen Pass in Deutschland. Im gleichen Zeitraum ist die Kriminalitätsrate jedoch nicht gestiegen, sondern gesunken. "Wir sehen also nicht: Je höher die Migration, desto mehr Gewalttaten - ganz im Gegenteil," so Prof. Wollinger. Sie ergänzt: "In Deutschland leben rund zwölf Millionen Ausländer*innen. 2024 wurden etwa 700.000 als Tatverdächtige registriert. Das bedeutet: 94 Prozent wurden polizeilich nicht auffällig. Die große Mehrheit begeht keine Straftaten - doch darüber wird kaum gesprochen. Aus kriminologischer Sicht spielen vielmehr andere Risikofaktoren eine Rolle, etwa Armut, Perspektivlosigkeit oder eigene Gewalterfahrungen," erklärte Wollinger. 
Diese Zahlen zeigen klar: Migration führt nicht zu mehr Kriminalität. Dennoch entsteht in der Öffentlichkeit ein anderes Bild - Medien heben das Thema "ausländische Kriminalität" immer wieder hervor und zuletzt, wie die neue Studie von Hestermann belegt, auf ein Rekordhoch gesteigert.