Wie berichten über Rechtsextremismus?
Fachleute empfehlen Journalist*innen folgende Punkte, um über Rechtsextremismus zu berichten. Unter anderem geht es darum, nicht selbst rechtsextreme Bilder oder Propaganda zu reproduzieren:
BEI DER RECHERCHE
Zahlen zur rechtsextremen Straftaten und Vorfällen:Aktuelle Zahlen zu rechtsextremen Vorfällen finden Sie hier. Repräsentative Bevölkerungsumfragen zur Frage, wie verbreitet Rechtsextremismus in Deutschland ist, finden Sie hier. Aktuelle Zahlen zu Rechtsextremen in Deutschland, wie viele offene Haftbefehle gegen sie bestehen und wie viele Waffen besitzen, finden Sie hier.
Betroffene sichtbar machen:Bei rechtsextremen Anschlägen liegt der Fokus oft auf den Täter*innen. Häufig gerät dabei aus dem Blick, welche Folgen rechte Gewalt für die Betroffenen und ihr Umfeld hat. Daher sollten frühzeitig die Perspektive und wenn möglich O-Töne der Betroffenen eingeholt werden. Bei der Kontaktaufnahme zu Betroffenen sollte mehr Zeit als üblich eingeplant werden, die Privatsphäre muss dringend beachtet werden. Beratungsstellen gegen rechte Gewalt oder Expert*innen von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus einsetzen, sind gute Gesprächspartner*innen und können gegebenenfalls einen Kontakt zu Betroffenen vermitteln. Der MEDIENDIENST Integration vermittelt innerhalb von einer halben Stunde Kontakte zu Beratungsstellen und Expert*innen.
Gesellschaftliche Dimension von rechtsextremen Taten beachten: Rechte Gewalt richtet sich meist nicht nur gegen die jeweils betroffene Person, sondern ist eine Tat mit Symbolwirkung: Eine ganze Bevölkerungsgruppe soll dadurch abgewertet werden. Diese gesellschaftliche Dimension muss im Journalismus diskutiert und bei der Recherche berücksichtigt werden. Zahlen zu Rechtsextremismus in Deutschland finden Sie in unserer ständig aktualisierten Rubrik.
IM ARTIKEL
Rassistische Taten als solche benennen: Oft wird bei rassistischen Taten das Wort „fremdenfeindlich“ verwendet. Das ist irreführend, weil sich Rechtsextremismus gegen People of Color – zum Beispiel Schwarze Deutsche – und nicht etwa Dänen oder Iren richtet. Eine Schwarze Deutsche Person, die von rechter Gewalt betroffen ist, wird durch das Wort "fremdenfeindlich" also überhaupt erst fremdgemacht. Bei Unsicherheiten über Begrifflichkeiten kann das Glossar der Neuen deutschen Medienmacher*innen hilfreich sein.Rechtsextremistischen Terror als solchen benennen: Eine Untersuchung aus dem Jahr 2019 hat gezeigt, dass islamistische Extremistinnen und Extremisten in Medienberichten dreimal so oft als Terroristen bezeichnet werden wie Rechtsextreme. Das suggeriert, dass rechte Straftaten vor allem auf Individualstraftäter*innen zurückgehen – und birgt die Gefahr, das Phänomen im politischen Kontext zu verharmlosen.Begriffe erklären: Nicht nur schreiben, dass eine Tat rechtsextrem, rassistisch oder antisemitisch war, sondern auch erklären, warum das so ist. Beispiel: Ein gelber Stern mit der Aufschrift "ungeimpft" auf einer sogenannten Querdenker-Demonstration ist antisemitisch, weil er eine Gleichsetzung von in der NS-Zeit verfolgten Juden und Jüdinnen mit Leuten, die sich nicht gegen Corona impfen lassen wollen, suggeriert. Dies stellt eine antisemitische Verharmlosung des Holocaust dar.
Keine rechten Aussagen und Propaganda wiedergeben: Statt direkt aus "Manifesten" von Terrorist*innen zu zitieren, kann der Inhalt umschrieben werden. Ansonsten wird rechtes Gedankengut und rechte Rhetorik reproduziert - was im Sinne der Täter*innen ist.
Rechtsextreme Attentäter*innen nicht beim vollen Namen nennen und nicht unverpixelt zeigen:Viele rechtsextreme Attentäter*innen wollen mit ihren Taten Symbolwirkung erzeugen und Nachahmer anregen. Journalist*innen können durch Verzicht auf die vollständige Namensnennung und verpixelte Bilder dazu beitragen, den Attentäter*innen keine Bühne für ihre Taten zu bieten.
Rechtsextremismus nicht auf "Springerstiefel-Nazis" reduzieren:Rechtsextremist*innen sollten nicht auf das Klischeebild vom Neonazi in Springerstiefeln reduziert werden, zum Beispiel in der Bebilderung von Artikeln. Das zementiert die überholte Vorstellung, dass Rechtsextremismus ein gesellschaftliches Randphänomen sei. Repräsentative Studien zeigen alljährlich, dass rechtes, rassistisches und nationalistisches Gedankengut ein Phänomen der gesellschaftlichen Mitte ist.
Begriff des "Einzeltäters" vermeiden oder erklären: Rechtsextreme Anschläge werden oft von einem Attentäter begangen, wie etwa in Halle und Hanau. Oft wird daher von "Einzeltätern" gesprochen. Wichtig ist es aber, in der Berichterstattung zu differenzieren: Die Attentäter mögen zwar am Tatort alleine handeln, vernetzen sich aber vorher offline und online und werden von anderen Rechtsextremen inspiriert und motiviert – so wie bei den Anschlägen in Halle und Hanau. Der Begriff "Einzeltäter" blendet also das rechtsextreme Netzwerk aus, in dem die Täter sich radikalisieren.
LINKS & QUELLEN
Hinweise zur Berichterstattung
• Über Rechtsextremismus berichten / Mediendienst Integration, Link
• Rechtsextremistische Einstellungen Zahlen & Fakten / Mediendienst Integration, Link
• Glossar für die Berichterstattung / Neue Deutsche Medienmacher*innen, Link
• Todesopfer rechter Gewalt / Amadeu Antonio Stiftung, Link
Wissenschaftliche Studien
• Media coverage of Muslim and far-right terrorism (2019) / Signal-AI, Link