Über Kriminalität von Migranten berichten

Für Medien gelten besondere Regeln, wenn sie über die Herkunft von Tatverdächtigen (beziehungsweise Nationalität, Minderheit, etc.) berichten. Redaktionen riskieren eine Rüge des Presserats, wenn sie gegen diese Regeln verstoßen. "Die Zugehörigkeit [von Tatverdächtigen oder Straftäter*innen] soll in der Regel nicht erwähnt werden" - so der Deutsche Pressekodex

Presserat (2021): Pressekodex, Richtlinie 12.1, Link

- "es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse".

Eine wissenschaftliche Untersuchung von 2022 zeigte, dass ausländische Tatverdächtige in den Medien im Vergleich zu deutschen Tatverdächtigen häufiger genannt werden als es ihrem eigentlichen Anteil unter den Tatverdächtigen entspricht. Das kann Vorurteile gegenüber gesellschaftlichen Gruppen verstärken und zur Stigmatisierung beitragen. Dennoch kann die Nennung der Herkunft in einigen Fällen geboten sein. Bei der Abwägung können folgende Leitfragen helfen, die Kriminologen vorgeschlagen haben.

BEI DER RECHERCHE

Checkliste: Kriminologen empfehlen folgende "Checkliste"
Zwei Ausgangsfragen:
1.   Ist die Herkunft zum Verständnis des Geschehens wichtig ("Erklärwert")?
2.   Ist das Informationsinteresse wichtiger als die negativen Folgen der Nennung ("Stigmatisierungsgefahr")?
Weitere Fragen zur Abwägung:
Nennt die Polizei die Herkunft?Wird der Zusammenhang zur Tat erklärt? Lässt sich ein "öffentliches Interesse" erkennen und begründen?
• Welche weiteren Umstände könnten ebenfalls eine Rolle spielen (Lebensumstände, "soziale Lage", etc.)?
• Austauschprobe: Wäre die Herkunft bei einem anderen Herkunftsland relevant?
Es genügt nicht, dass andere Medien die Herkunft nennen oder dass ein vermuteter Bezug zur Tat besteht oder dass es Leser*innen interessieren könnte.

IM ARTIKEL

Als Faustregelgilt: Je kürzer der Text ist, desto eher sollte auf die Nennung verzichtet werden.
• Nicht Gerüchte wiedergeben: Kurz nach Straftaten kursieren häufig Gerüchte über die Tatverdächtigen. Besser nur bestätigte Informationen der Polizei oder Staatsanwaltschaften einbeziehen.
• Nur in Ausnahmefällen sollte die Herkunft in Überschriften stehen. Auch sollte die Herkunft nur in besonderen Ausnahmefällen mehrfach genannt werden.
Wenn die Herkunft genannt wird: Entscheidung transparent machen und Gründe für die Nennung der Herkunft im Text erwähnen.
Fallbeispieleaus den Leitsätzen zum Pressekodex und aus der Recherche-Datenbank des Presserats: Angemessene Nennung der Herkunft: Die Übergriffe in der Kölner Silvesternacht 2015/2016
Grund: Der Presserat hält die Nennung für angemessen, weil die Straftaten aus einer größeren Gruppe heraus begangen wurden, von der ein nicht unbeachtlicher Anteil durch gemeinsame Merkmale wie ethnische, religiöse, soziale oder nationale Herkunft verbunden war.
Unangemessene Nennung der Herkunft:Vandalismus an einer Bahnstrecke
Der Fall: Eine Regionalzeitung berichtet online unter der Überschrift „Polizei: Mauretanier schmeißt Steine gegen (…) Bäderbahn“ über einen Vorfall an einer Bahnstrecke in Norddeutschland. Erst habe ein Mauretanier eine Fahrkartenkontrolleurin der Bahn und andere Fahrgäste bespuckt und sei daraufhin aus dem Zug geflogen. Anschließend habe er sich mit Steinwürfen an einem weiteren Zug abreagiert.
Der Presserat entschied: Die Herkunftsnennung war unangemessen. Es handele sich um eine diskriminierende Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens, wenn die Gruppenzugehörigkeit unangemessen herausgestellt wird, etwa durch Erwähnung in der Überschrift oder durch Wiederholungen. Beides war hier der Fall. Fünfmal erwähnt die Redaktion in einer relativ kurzen Meldung, dass der Tatverdächtige ein Mauretanier ist. Den Lesern wird damit nahegelegt, die Nationalität des Mannes sei bedeutsam für sein Fehlverhalten. Die Nationalität spielt aber für das Verständnis des berichteten Vorgangs keine Rolle. Eine Notwendigkeit, die Herkunft zu nennen, ist nicht ersichtlich.

LINKS & QUELLEN

Hinweise für die Berichterstattung
• Richtlinie 12.1. des Pressekodex / Deutscher Presserat, Link
• Praxis-Leitsätze zur Richtlinie 12.1 / Deutscher Presserat, Link
• Recherche-Datenbank, Deutscher Presserat, Link
Wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema
• MEDIENDIENST-Expertise: Zwischen Stürmerstars und Gewalttätern (2022) / Hestermann, Link
• MEDIENDIENST-Expertise: Sollten Medien die Herkunft von Tatverdächtigen nennen? / Walburg, Singelnstein (2021), Link• Herkunftsnennung von Täter*innen und Verdächtigen in der Verbrechensberichterstattung / Klimmt, Dittrich, Brosius, Schmid-Petri, Schultz, Vowe (2022), Link

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