Nach aktueller Rechtslage dürfen Asylsuchende nicht an der Grenze zurückgewiesen werden. Das ergibt sich aus dem nationalen, europäischen und internationalen Flüchtlingsrecht. Dennoch werden aktuell Asylsuchende an den Grenzen zurückgewiesen.
Zurückweisungen aufgrund der Weisung vom Bundesinnenministerium vom Mai 2025
Am 7. Mai hat das Bundesinnenministerium eine Weisung erlassen, nach der Schutzsuchenden die Einreise in die Bundesrepublik durch die Landesgrenzen verwehrt werden kann – ausgenommen sind nur "erkennbar vulnerable" Personen wie etwa schwangere Frauen, unbegleitete Kinder und Kranke. Bei allen Einreisenden ohne gültige Reisedokumente nimmt die Bundespolizei Personaldaten und Fingerabdrücke ab, führt eine kurze Anhörung und erlässt eine Zurückweisungsverfügung. Die Personen werden dann festgehalten bis sie den Grenzbehörden der Nachbarstaaten übergeben werden können. Zum Stand 15. Mai 2025 wurden nur wenige Dutzend Schutzsuchende zurückgewiesen. Etliche Nachbarstaaten Deutschlands haben sich gegen die verstärkten Grenzkontrollen und Zurückweisungen an den Grenzen geäußert.
Sind die Zurückweisungen rechtmäßig?
Das Bundesinnenministerium beruft sich in seiner Weisung auf das deutsche Asylgesetz (AsylG §18, Abs. 2). Demnach kann Asylsuchenden die Einreise verweigert werden, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass ein anderer EU-Staat für sie zuständig ist. Allerdings: Das nationale Asylgesetz ist dem europäischen sowie internationalen Recht untergeordnet.
Direkte Zurückweisungen von Asylsuchenden an EU-Binnengrenzen werden insbesondere von zwei EU-Gesetzen ausgeschlossen:
- Nach dem Schengener Grenzkodex (Artikel 23a) können Drittstaatsangehörige, die im Grenzgebiet ohne Aufenthaltsrecht aufgegriffen werden, zwar unmittelbar in den Staat überstellt werden, aus dem sie eingereist sind. Das gilt allerdings explizit nicht für Asylsuchende (Artikel 23a, Abs. 1).
- Bei Asylsuchenden, die aus anderen EU-Staaten einreisen, muss außerdem eine Zuständigkeitsprüfung nach der "Dublin-III-Verfahren" stattfinden. In diesem Verfahren wird geprüft, ob Deutschland oder ein anderer EU-Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig ist.
De facto agiert die Bundesregierung damit gegen geltendes EU-Recht. Rechtmäßig kann dies nur im Fall einer Notlage (und wenn die Regelungen selbst keine Vorkehrungen für eine solche Notlage treffen) sein: Nach dem "Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union" (AEUV) kann ein Mitgliedstaat Teile des EU-Rechts aussetzen (AEUV Artikel 72). Mitgliedstaaten, die sich bisher explizit auf Artikel 72 bezogen haben, mussten dies vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) begründen und die Lage nachweisen. Der EuGH hat allerdings in allen bislang entschiedenen Fällen das Berufen auf eine solchen Notlage für rechtswidrig erklärt.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat am 2. Juni 2025 im Fall von drei somalischen Kläger*innen die Zurückweisungen an deutschen Grenzen für rechtswidrig erachtet. Die Begründung: Personen, die bei Grenzkontrollen auf deutschem Staatsgebiet ein Asylgesuch äußern, dürfen nicht ohne Durchführung des Dublin-Verfahrens zurückgewiesen werden. Auch können Zurückweisungen nicht auf Grundlage von Art. 72 AEUV stattfinden.
Zurückweisung an den EU-Außengrenzen
Ohne vorher einen Staat der EU oder die Schweiz betreten zu haben, können Drittstaatsangehörige die Außengrenzen Deutschlands nur über den Luft- oder Seeweg überqueren. Wenn sie Schutz in Deutschland suchen, gilt für sie das "Non-refoulment"-Prinzip – das heißt: Bevor sie in das Land, aus dem sie eingereist sind, zurückgewiesen bzw. zurückgeschoben werden, müssen deutsche Behörden prüfen, ob ihnen in diesem Land Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Das geht aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (Artikel 3) sowie aus der Genfer Flüchtlingskonvention (Artikel 33) hervor. Demnach hat jede asylsuchende Person in Deutschland auch Anspruch auf die individuelle Prüfung ihres Antrags. Ohne diese Prüfung darf sie nicht zurückgewiesen werden.Quelle.
Gerichtsurteile über Zurückweisungen
Dass Zurückweisungen an EU-Binnengrenzen rechtswidrig sind, haben zuletzt Urteile sowohl des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) bestätigt.Quelle
Quellen
- Hruschka, Constantin (2025), Dobrindts Rechtsbruch LINK
- Korsch S., Umbart K. (2025), Mehr als grenzwertig – Zu den rechtlichen und politischen Folgen von Zurückweisungen von Asylsuchenden LINK
- Daniel Thym (2024), Nun also doch? Zurückweisungen von Asylbewerbern aufgrund einer "Notlage" LINK
- Daniel Thym (2023), Rechtsgutachten über die Anforderungen und Rechtsfolgen des Artikels 72 EU-Arbeitsweisevertrag für die ausnahmsweise Abweichung vom EU-Asylrecht LINK
- Daniel Thym (2018), Der Rechtsbruch-Mythos und wie man ihn widerlegt, Verfassungsblog Mai 2018 LINK
- Deutsches Institut für Menschenrechte (2018), Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze? – Eine menschen- und europarechtliche Bewertung, Juni 2018 LINK
- Wissenschaftliche Dienste des deutschen Bundestags (2017), Einreiseverweigerung und Einreisegestattung nach § 18, 2017, Seite 6 LINK
- Dana Schmalz (2018): Weshalb man Asylsuchende nicht an der Grenze abweisen kann, Link