Rassismus im Gesundheitswesen

Viele Menschen berichten von Rassismus im Gesundheitswesen. Sie gehen deshalb seltener zum Arzt als Personen, die nicht von Rassismus betroffen sind. Krankheiten werden dadurch verschleppt oder zu spät behandelt.

Wie viele Menschen erfahren Rassismus im Gesundheitswesen?

  • In einer Befragung des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors (NaDiRa) 2023 berichten viele Menschen von regelmäßigen Rassismuserfahrungen im Gesundheitswesen.QuelleEach One Teach One, Citizens for Europe: (2021) "Afrozensus 2020", LINK, S. 135ff., QuelleDeZIM/NaDiRA (2023): "NaDiRa-Bericht 2023. Rassismus und seine Symptome", S. 91, LINK
  • Im Afrozensus 2020 wurden Schwarze und afrodiasporische Menschen in Deutschland befragt. Sie berichten von Rassismus vor allem im Bildungs- und Gesundheitswesen. Zwei Drittel der Befragten, die in den letzten zwei Jahren Kontakt zum Gesundheitswesen oder der Pflege hatten, haben dort Diskriminierung erfahren. Wiederum 74,4 Prozent von ihnen gaben an, wegen der Hautfarbe diskriminiert worden zu sein.
  • 2022 gingen bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) 263 Anfragen zum Bereich Gesundheit und Pflege ein. Auf Anfrage des MEDIENDIENSTES teilte die ADS mit, dass sich etwa die Hälfte davon auf die Kategorie Behinderung bezogen und ein Drittel auf rassistische GründeMouseoverMehrfachnennungen sind möglich; 10 Prozent: Geschlecht, 5 Prozent: Religion, 7 Prozent: Alter, 4 Prozent: sexuelle Identität.. Betroffene berichten häufig von rassistischer Diskriminierung während einer ärztlichen Behandlung. Sie mussten länger im Warteraum bleiben oder erhielten unangebrachte Fragen und wurden nicht oder falsch behandelt, einige berichten von schweren Behandlungsfehlern und körperlichen Angriffen.QuelleAngaben der Antidiskriminierungsstelle des Bundes auf Anfrage des MEDIENDIENSTES Oktober 2023 sowie "Jahresbericht 2022", S. 26, LINK,

Welche Folgen haben Rassismuserfahrungen im Gesundheitswesen?

Betroffene verlieren wegen Diskriminierungserfahrungen das Vertrauen in das Gesundheitswesen und suchen aus Angst, schlecht behandelt zu werden, keine Ärztin auf oder wechseln diese häufig ("doctor hopping"). Das kann dazu führen, dass Krankheiten verschleppt oder gar nicht behandelt werden.QuelleKajikhina (2023): "Rassismus und Diskriminierung im Kontext gesundheitlicher Ungleichheit - ein narratives Review", S. 1103, LINK

Die NaDiRa-Studie zeigt: Mehr als jede Dritte Person aus den befragten Gruppen gab an, den Arzt gewechselt zu haben, da Beschwerden nicht ernst genommen wurden. Besonders hoch ist der Wert unter muslimischen und asiatischen Frauen. Auch kommt es zur Verschleppung oder Verzögerung einer Behandlung, besonders bei Frauen.QuelleDeZIM/NaDiRA (2023): "NaDiRa-Bericht 2023. Rassismus und seine Symptome", S. 146ff., LINK

 

Die Werte liegen deutlich höher für Personen, die häufig Diskriminierung im Gesundheitswesen erfahren haben. Unter Schwarzen Frauen, die häufig Diskriminierung erlebt haben, geben 48 Prozent an, eine Behandlung verzögert oder vermieden zu haben.

Schwarze, muslimische und asiatisch (gelesene) Personen berichten im NaDiRa deutlich häufiger davon, die Suche nach einem Therapieplatz aufgegeben zu haben. Unter Schwarzen Personen sind es über 40 Prozent. Eine Rolle spielen Erfahrungen mit Therapeut*innen: Im Afrozensus sagen über 60 Prozent der Befragten, dass ihre Rassismuserfahrungen in der Therapie nicht ernst genommen werden.QuelleDeZIM/NaDiRA (2023): "NaDiRa-Bericht 2023. Rassismus und seine Symptome", S. 151, LINK; Each One Teach One, Citizens for Europe: (2021) "Afrozensus 2020", LINK, S. 141ff.

Eine Rolle bei negativen Erfahrungen im Gesundheitswesen spielen Scheindiagnosen (wie der "Morbus Bosporus"): Patient*innen wird dabei ein unter- oder übertriebenes Schmerzempfinden zugeschrieben. Das kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass Krankheiten falsch therapiert oder erst gar nicht behandelt werden.Quelledavon berichten Ärzt*innen im Afrozensus, LINK, DeZIM/NaDiRA (2023): "NaDiRa-Bericht 2023. Rassismus und seine Symptome", S162ff, LINK sowie Kajikhina (2023): "Rassismus und Diskriminierung im Kontext gesundheitlicher Ungleichheit - ein narratives Review", LINK

Frauen berichten häufiger von Diskriminierungserfahrungen

Schwarze, muslimische und asiatische Frauen berichten besonders häufig davon, eine Behandlung verzögert zu haben; muslimische Frauen besonders häufig von einem schlechteren Gesundheitszustand. Stereotype gegenüber Frauen – etwa, dass sie ihr Schmerzempfinden überbetonen – und rassistische Stereotype scheinen sich zu vermischen. Studien zeigten dass Frauen bei gleichen Symptomen andere Verschreibungen und Therapieempfehlungen bekommen; und, dass es zu spezifischen Symptomen bei Frauen weniger Forschung gibt (mehr zum "Gender-Health-Gap" hier).QuelleDeZIM/NaDiRA (2023): "NaDiRa-Bericht 2023. Rassismus und seine Symptome", S156ff, LINK

Fehlende Sensibilisierung in der medizinischen Ausbildung

Auf der Suche nach den Gründen bleiben einige offene Fragen. Zu den Perspektiven und Einstellungen des Gesundheitspersonals gibt es kaum Erkenntnisse. Eine Rolle spielt die Ausbildung: Eine Analyse von Lehrmaterial zeigt, dass in der medizinischen Ausbildung oft nur anhand eines hellen Hauttyps gelehrt wird; abwertende Darstellungen gegenüber einigen Communities – wie ein vermeintlich erhöhter Alkohol- und Drogenkonsum – finden ebenso statt. Die Auseinandersetzung mit rassistischer Diskriminierung kommt in der Ausbildung nur unzureichend vor, so die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland. Scheindiagnosen wie der "Morbus Bosporus" oder "Morbus Mediterraneus" – die Betroffene eine übertriebene Schmerzbeschreibung unterstellen – kämen in Lehre und Praxis immer noch vor.QuelleDeZIM/NaDiRA (2023): "NaDiRa-Bericht 2023. Rassismus und seine Symptome", S. 184ff., LINK

Hinzu kommen verschiedene Hürden:

  • Sprachbarrieren: Die Sprache ist eine große Hürde in Arztpraxen und Krankenhäusern: Es fehlen mehrsprachige Informationsangebote, und Ärzt*innen und Patient*innen können sich oft schwer verständigen. Das kann beeinflussen, wie dringlich ein Fall wahrgenommen wird und zu Missverständnissen führen. Oft gibt es keine Sprachmittler*innen, und Patient*innen müssen die Kosten für eine Übersetzung selbst übernehmen. Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) fordert etwa ein Anrecht auf Dolmetscher.QuelleEach One Teach One, Citizens for Europe: (2021) "Afrozensus 2020", LINK; Kajikhina (2023): "Rassismus und Diskriminierung im Kontext gesundheitlicher Ungleichheit - ein narratives Review", LINK
  • Auch bei der Terminvergabe scheint es Hürden zu geben: Ein Experiment mit Terminanfragen bei Praxen der Allgemeinmedizin zeigt: Personen mit nicht-deutschen Namen erhalten seltener eine positive Rückmeldung auf ihre Anfrage etwa bei Allgemeinmedizinerinnen oder Psychotherapeuten.QuelleDeZIM/NaDiRA (2023): "Rassismus und seine Symptome" NaDiRa Monitoringbericht, S. 133ff., LINK
  • Rechtliche Hürden erschweren, dass Personen überhaupt Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen: Geflüchtete haben zunächst nur eingeschränkten Zugang zum Gesundheitssystem; besonders schwer ist es für Menschen ohne Papiere, Gesundheitsleistungen in Anspruch zu nehmen. Die WHO fordert etwa, allen Migrant*innen unabhängig von Aufenthaltsstatus Zugang zum Gesundheitssystem zu geben.

Wichtige Quellen
DeZIM/NaDiRA (2023): "Rassismus und seine Symptome" NaDiRa-Bericht, LINK
Kajikhina (2023): "Rassismus und Diskriminierung im Kontext gesundheitlicher Ungleichheit - ein narratives Review", LINK
Bartig et al. (2021): "Diskriminierungsrisiken und Diskriminierungsschutz im Gesundheitswesen - Wissensstand und Forschungsbedarf für die Antidiskriminierungsforschung", LINK;