Wann sind Kurden nach Deutschland eingewandert?

Für Kurden ist Deutschland das bedeutendste Migrationsziel in Europa. Die Migrationsbewegungen hängen meist mit Kriegen und Verfolgung in den Herkunftsländern zusammen und lassen sich in fünf Phasen gliedern.

Für Kurd*innen ist Deutschland das bedeutendste Migrationsziel in Europa. Die Migration der Kurd*innen nach Deutschland begann vor mehr als 100 Jahren. Sie hängt meist mit Konflikten in den Herkunftsländern zusammen. Sie lässt sich in fünf Phasen gliedern.QuelleEngin, K. (2019) (Hg.), "Kurdische Migration in Deutschland", S. 9f, . MEDIENDIENST Integration/ Ghaderi und Almstadt: "Kurden in Deutschland" (2023), Link,

Erste Phase 1919-1961

Die erste nachweisbare kurdische Migration nach Deutschland fand in den 1920er Jahren statt. Die Einwanderer*innen gehörten größtenteils der kurdischen intellektuellen Elite an. Sie kamen für ein Studium oder eine diplomatische Mission, teils aus politischen Gründen. Sie gründeten diverse Studentenvereinigungen, wie 1956 die „Kurdish Students Society in Europe“ (KSSE).QuelleMcDowall, D. (2021), "The Kurds in Exile", S. 646

Zweite Phase 1961–1973

Die zweite Phase der kurdischen Migration nach Deutschland begann mit dem Anwerbeabkommen zwischen Deutschland und der Türkei. Die ersten Arbeitsmigrant*innen aus der Türkei wurden aus den westlichen und zentralen Landesteilen rekrutiert, wo wenige Kurd*innen lebten. Daher waren Kurd*innen unter den sogenannten „Gastarbeitern“ zunächst unterrepräsentiert. Dies änderte sich im Laufe der 1970er Jahre, als der Anteil der Arbeitsmigrant*innen aus dem südöstlichen, überwiegend kurdisch bewohnten Teil der Türkei zunahm. Sie kamen weniger aufgrund der Aussicht auf Arbeit als aufgrund der zunehmenden Unruhen und Repressionen in der Osttürkei.

Es ist davon auszugehen, dass 1998 von den 2,1 Millionen Türkeistämmigen Menschen in Deutschland mindestens 500.000 Kurd*innen waren. Die meisten dieser Migrant*innen betrachteten sich anfänglich jedoch in erster Linie als Türk*innen. Viele von ihnen hatten die offizielle Doktrin der Türkei verinnerlicht, laut der alle Staatsbürger Türken sind oder waren durch die türkische Assimilationspolitik gezwungen worden, eine türkische Identität anzunehmen, so die EinschätzungMEDIENDIENST Integration/ Ghaderi und Almstadt: "Kurden in Deutschland" (2023), Link von Expert*innen. Die Wiederentdeckung der „kurdischen“ Identität und Sprache begann erst durch die Aktivitäten kurdischer Studierender und politischer Geflüchteter in den 80er Jahren in Deutschland. Mehrere Ereignisse verstärkten die Einwanderung während dieser Zeit: zwei Militärputsche in der Türkei, mehrere schwere Erdbeben in mehrheitlich von Kurd*innen bewohnten Gebieten, Pogrome gegen kurdische Alevit*innen sowie der Zusammenbruch der kurdischen Bewegung im Irak 1975.QuelleMcDowall, D. (2021), "The Kurds in Exile", S. 646 f.
Ammann, B. (2005), "Kurds in Germany", S. 1011-1019

Dritte Phase 1980–1990

Die dritte Phase ist vor allem durch politische Fluchtursachen gekennzeichnet. So führte der Militärputsch in der Türkei 1980 zur Flucht von rund 30.000 Kurd*innen allein nach Deutschland. Nach dem Sturz des Schahs im Iran flohen Kurd*innen vor der Unterdrückung durch die neue islamische Regierung, die seither durch Gewalt, Hinrichtungen und Verfolgung gekennzeichnet ist. Der langjährige Erste Golfkrieg (1980-1988) zwischen dem Irak und dem Iran, sowie die „Anfal-Operationen“ (unter anderem Giftgasangriffe) zur „Säuberung“ der kurdisch besiedelten Gebiete im Irak, waren weitere wesentliche Auslöser für die Migration von Kurd*innen ins Ausland, unter anderem nach Deutschland.QuelleAmmann, B. (2005), "Kurds in Germany", S. 1011-1019

Vierte Phase 1990–2000

Der Ausbruch des Zweiten Golfkrieges führte zu erheblichen kurdischen Fluchtbewegungen inner- und außerhalb des Irak, nachdem die Regierung Saddam Husseins gezielt die kurdischen Siedlungsgebiete angegriffen hatte. Infolgedessen flohen etwa eine Million Kurd*innen überwiegend in die Türkei und den Iran, aber auch in andere Länder wie Deutschland.

Fünfte Phase 2011–2018

Die fünfte Phase begann mit dem „Arabischen Frühling“, dem Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges sowie der Entstehung der religiös-fundamentalistischen Bewegungen in Syrien und im Irak. Eine Gruppe, die in Deutschland Schutz suchte, sind die Ezid*innen, die dem Genozid des sogenannten Islamischen Staates (IS) entkommen konnten. Eine weitere kurdische Gruppe aus Syrien kam als Staatenlose nach Deutschland. Hintergrund war die Arabisierungspolitik in Syrien, mit der die Regierung 120.000 Kurd*innen ausbürgerte.

Seit 2018

Aktuell kommen wegen der politischen Lage in der Türkei und aufgrund der schweren Erdbeben im Februar 2023 vermehrt Kurd*innen aus der Türkei. Von Januar 2022 bis August 2023 haben insgesamt 45.057 kurdische Menschen aus der Türkei Asyl beantragtVgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf Anfrage des MEDIENDIENST Integration, 9. Oktober 2023. Anhaltend sind Fluchtbewegungen aus Syrien. Ebenfalls migrieren aktuell vermehrt kurdische Menschen aus dem Iran, wo die Gewaltexzesse und Verfolgung des islamisch-theokratischen Regimes nach den Protesten, die durch den Tod der Kurdin Jina Mahsa Amini ausgelöst wurden, zunehmen.