Altersarmut jüdischer Kontingentflüchtlinge

Die meisten jüdischen Zuwanderer im Rentenalter sind von Altersarmut betroffen: Sie konnten ihre Arbeitsjahre im Ausland meist nicht für die Rente in Deutschland anrechnen lassen und waren häufig prekär beschäftigt.

Zwischen 65.000 bis 70.000 jüdische Kontingentflüchtlinge sind von AltersarmutUnter Altersarmut wird hier gefasst, dass sie kein ausreichendes Einkommen erzielen und deswegen Grundsicherung erhalten. Die Regelsätze liegen deutlich unter der Grenze zur Armutsgefährdungbetroffen, schätzt die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). Das entspreche rund 93 Prozent aller jüdischen Zuwanderer*innen im Rentenalter. Zum Vergleich: Rund 2,6 Prozent der deutschen Rentner*innen waren 2021 auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen, unter ausländischen Rentner*innen waren es 17,5 Prozent.QuelleZWST(2022): "Factsheet zum Problem
der Altersarmut unter jüdischen Zuwanderer:innen" LINK; Anfrage des MEDIENDIENSTES bei der ZWST im Oktober 2022; Schätzung basiert u.a. auf Angaben des BAMF zu jüdischen Kontingentflüchtlingen sowie einer Umfrage unter jüdischen Gemeinden; Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes (2022): "Mehr als ein Viertel der Rentnerinnen und Rentner haben ein monatliches Nettoeinkommen von unter 1 000 Euro"; LINK

Härtefallfonds als Ausgleich

Um die Altersarmut unter jüdischen Kontingentflüchtlingen abzumildern, hat die Bundesregierung 2022 einen Härtefallfonds beschlossen und 2023 eine Stiftung dafür eingerichtet. Anspruchsberechtigte Personen sollen aus dem Fonds eine einmalige, nicht steuerpflichtige Zahlung erhalten. Der Fonds gilt nicht nur für jüdische Kontingentflüchtlinge, sondern auch für Spätaussiedler*innen und Härtefälle unter DDR-Rentner*innen.

Berechtigte erhalten 2.500 Euro von den Bundesmitteln, und weitere 2.500 Euro, falls ihr Bundesland der Stiftung beitritt. Nur fünf Bundesländer sind beigetreten: Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Thüringen Bremen und Berlin. Die ZWST forderte eine Auszahlung von 10.000 Euro pro Person. Das würde bei einer Rentendauer von 20 Jahren einem Ausgleich von 41,66 Eurodie Differenz zwischen der Grundsicherung & einem Rentenanspruch analog zur Fremdrente pro Monat entsprechen. Auch der Bund hatte zunächst mehr Geld für den Fonds vorgesehen.Quellevgl.Antrag der CDU/CSU-Fraktion Oktober 2022; Deutscher Bundestag (2022): Drucksache 20/3100; Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2023; LINK

Anspruchsberechtigte konnten bis Ende Januar 2024 einen Antrag stellen. 52.700 jüdische Kontingentflüchtlinge haben das gemacht. Somit hat vermutlich ein Großteil der Betroffenen einen Antrag gestellt – die ZWST ging von rund 65.000 bis 70.000 jüdischen Kontingentflüchtlingen aus, die von Altersarmut betroffen sind. Bisher wurden 10.113 Anträge bewilligt, 1.960 abgelehnt (Stand März 2024).QuelleDeutscher Bundestag (2024): Drucksache 20/10524, LINK, S. 3ff.; ZWST (2022): "Factsheet zum Problem der Altersarmut unter jüdischen Zuwanderer:innen" LINK, eigene Berechnung

Warum sind so viele jüdische Zuwanderer*innen von Altersarmut betroffen?

Das hat mehrere Gründe: Jüdische Kontingentflüchtlinge haben keinen Zugang zum Fremdrentenrecht, welches unter anderem für Spätaussiedler*innen gilt – und es gibt kaum Sozialversicherungsabkommen mit Nachfolgestaaten der Sowjetunion, aus denen sie zugewandert sind. Deswegen können sie ihre Arbeitsjahre dort nicht für die Altersversorgung in Deutschland anrechnen lassen. In Deutschland konnten sie wiederum kaum Rentenansprüche erwerben, da sie oft in prekären Jobs beschäftigt waren – trotz akademischer Abschlüsse. Eine stichprobenartige Befragung der ZWST ergab, dass rund 69 Prozent der jüdischen Zugewanderten, die vor 1954 geboren wurden, über einen akademischen Abschluss verfügten. Von 78 Prozent wurde der Abschluss nicht anerkannt.QuelleVgl. Panagiotidis (2021): "Postsowjetische Migration in Deutschland", S. 6; LINK; ZWST (2022): "Factsheet zum Problem
der Altersarmut unter jüdischen Zuwanderer:innen" LINK; Anfrage des MEDIENDIENSTES bei der ZWST im Oktober 2022; Stellungnahme der Deutschen Rentenversicherung Bund im Deutschen Bundestag 2021: Ausschussdrucksache 19(11)1005, LINK.