In Nordrhein-Westfalen, dem Sendegebiet des WDR, hat über ein Viertel der Bevölkerung einen sogenannten Migrationshintergrund, mit 28,7 Prozent liegt der Anteil über den bundesdeutschen Durchschnitt. Unter jüngeren Menschen ist er noch höher. Was erwarten sie von den Medien? Dazu hat der WDR junge Menschen mit Migrationsgeschichte befragt.
Die Untersuchung zeigt zunächst, wie wichtig deutsche Medien für sie sind. Sie nutzen vor allem digitale Angebote und interessieren sich für Nachrichten aus Deutschland und der Region, sowie Unterhaltung oder Serviceformate. Damit unterscheiden sie sich nicht von den anderen Menschen desselben Alters. Angebote aus den Herkunftsländern (der Eltern) nutzen sie nur ab und zu, eher als ergänzende Quelle zu deutschen Medien, etwa bei kontroversen Themen oder besonderen Ereignissen, wenn sie eine andere Einordnung brauchen. Eine Teilnehmerin mit Verwandten in Italien, formuliert es so: „Wenn irgendwas wirklich Schlimmes ist, das interessiert mich. (…) Aber so banale oder alltägliche Sachen interessieren mich eher nicht.“
Die vollstänigen Ergebnisse der WDR-Untersuchung finden Sie hier.
Wie sehen sie die Berichterstattung über Migration? Die Antworten zeigen eine große Vielstimmigkeit der Perspektiven und Meinungen. Auf der einen Seite kritisieren die Befragten, dass einige Medien zu emotionalisierend und negativ über Einwanderung berichten. „Menschen mit Migrationshintergrund werden zum Großteil nur im Zusammenhang mit Straftaten in den Nachrichten erwähnt. Bei vielen negativen Nachrichten wird immer, auch wenn es nicht passt oder Sinn macht, der Migrationshintergrund erwähnt und sogar betont,“ sagt eine Befragte. Manche finden auf der anderen Seite die Berichterstattung zu positiv: Die Lage werde von den Medien schöngeredet und Informationen zurückgehalten, um Polarisierungen zu vermeiden.
IVA KRTALIC hat in Kroatien als Journalistin und Übersetzerin gearbeitet, bevor sie nach Köln kam und ab 2000 Autorin und Redakteurin im WDR-Hörfunk wurde. Seit 2016 ist sie Beauftragte für Integration und interkulturelle Vielfalt im WDR. Sie hat in Zagreb und Berlin studiert und promovierte zum Thema Mediendiskurse der Nation und des kulturellen Unterschieds.
Die Befragten erwarten eine konstruktive, multiperspektivische Berichterstattung, die aber nicht die problematischen Seiten der Einwanderung vernachlässigt. Sie wünschen sich sachliche, neutrale und unparteiische Informationen und persönliche Geschichten und Hintergründe, etwa warum Menschen migriert sind. Sie wollen auch, dass Migrant*innen selbst stärker über dieses Thema in den Medien mitdiskutieren.
Die Vielfalt der Gesellschaft soll sich nach Auffassung der Befragten besser in den Medien wiederfinden. Ein ganz zentraler Wunsch der jungen Menschen ist es, starke Vorbilder mit Zuwanderungsgeschichte in den Medien zu sehen und zu hören. So äußerten sich knapp zwei Drittel der Befragten. "Wenn ich im Fernsehen eine Migrantin als Moderatorin sehe, denke ich: Cool, die hat das geschafft!“, sagt eine Befragte.
Junge Menschen mit internationalen Biografien wollen auch die eigenen Lebenswelten in den Medien sehen und zwar nicht als Teil des „Einwanderungsproblems“ oder der „Integrationsaufgabe“, sondern als normalen Teil der Gesellschaft.
Mit dieser Forderung legen sie den Finger an ein Defizit im medialen Diskurs, der die Einwanderungsgesellschaft immer noch unzureichend als Normalität, und vielmehr „als spezifische historische Ausnahmeerscheinung erzählt“, geprägt von Konstruktionen wie „Leitkultur“, „Integration“ oder „Parallelgesellschaft“. An diesem Defizit müssen die Medienhäuser arbeiten, wenn sie für das gesamte Publikum relevant bleiben wollen. Das heißt, die Vielfalt der Gesellschaft in allen Genres und auf allen Kanälen abbilden und auf starke Protagonist*innen setzen, mit denen sich junge Menschen identifizieren können. Dazu zählen Moderator*innen mit Zuwanderungsgeschichte, aber auch Expert*innen, die sich zu Themen vom allgemeinen Interesse und nicht nur zum „Migration-Integration-Komplex“ äußern, sowie Protagonist*innen, die vor den selben Alltagsfragen stehen wie alle. Es gilt, ihre Lebenswelten und Perspektiven selbstverständlich und ohne Erklärungszwang in die Programme zu holen und somit die vielen Geschichten der Einwanderungsgesellschaft stärker als bisher als Quelle für die journalistische Arbeit zu verstehen.
Der Gastbeitrag stellt die Ergebnisse eines zweistufigen Forschungsprojekts des WDR vor. Im ersten Teil diskutierten rund 30 junge Menschen in einem „Meet-the-Audience“-Format mit Programmmacher*innen. Der zweite Teil war eine Onlineumfrage unter 475 Teilnehmer*innen. Für beide Formate hat der WDR 20- bis 40-Jährige aus NRW mit Migrationshintergrund eingeladen – etwas mehr als die Hälfte davon sind in Deutschland geboren.
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