Die Themen Migration und Asyl stehen im Mittelpunkt politischer Debatten vor der Wahl des Europäischen Parlaments am 9. Juni. Sie werden als sehr wahlbestimmend wahrgenommen, obwohl Befragungen zeigen, dass auch andere Themen wichtig sind, wie Sicherheit, Gesundheit und soziale Gerechtigkeit, laut Eurobarometer. Während zum Beispiel in Polen oder Italien Migration derzeit nicht das Hauptthema für die Wahlberechtigten ist, ist es in Frankreich oder Deutschland sehr zentral.
Um die Rolle von Migration im Europa-Wahlkampf in Ländern wie Italien, Polen oder Spanien ging es bei einem Online-Pressegespräch des MEDIENDIENSTES mit Expert*innen des Mercator Forum für Migration und Demokratie (MIDEM) und des Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM).
Dr. Oliviero Angeli
Wissenschaftlicher Koordinator des Forschungsinstituts Mercator Forum Migration und Demokratie (MIDEM), angesiedelt an der Technischen Universität Dresden
"Wenn man die Bedeutung von Migration in der italienischen Politik zu Beginn des EU-Wahlkampfs betrachtet, sieht man, dass Migration zwar ein wichtiges Thema ist – dennoch nicht zu den Prioritäten der Wähler*innen gehört. Vielmehr beschäftigen sie sozioökonomische Themen wie etwa Arbeitslosigkeit und der Zustand des Gesundheistsystems. Interessant für Italien ist auch, dass die Parteien der rechtskonservativen Regierungskoalition in Sachen Migration auseinandergehen: Während die Lega von Matteo Salvini eine radikale Anti-Einwanderungs-Politik führt, zeigt sich die Partei von Regierungschefin Giorgia Meloni pragmatischer."
Marta Kozłowska
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am MIDEM. Sie forscht insbesondere zu Migrations- und Asylpolitik in Polen, wie auch zu den Einstellungen der polnischen Bevölkerung zu Einwanderungsfragen
"In Polen steht das Thema Migration erst seit 2015 im Mittelpunkt politischer Debatten. Damals ging es vor allem um die Bedrohung, die aus Fluchtmigration hervorgeht – ein Thema, das sich vor allem die Partei 'Recht und Gerechtigkeit' (PiS) zu Eigen machte. Inzwischen hat sich der Umgang mit Migration in der Politik weitestgehend normalisiert. Sorgen und Ängste der Bevölkerung haben derzeit vor allem mit Russlands aggressiven Auslandspolitik zu tun. Migration bleibt dennoch ein polarisierendes Thema: Bis zu einem Drittel der Bevölkerung zeigt sich in Umfragen skeptisch gegenüber Einwanderung. Rassistische Einstellungen sind auch weit verbreitet."
Dr. Mariana Mendes
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am MIDEM. Mendes untersucht unter anderem den Stellenwert rechter Parteien in westeuropäischen Ländern
"Vor allem die Parteien am rechten Rand in Frankreich wie etwa der 'Ressemblement National' von Marine Le Pen richten derzeit ihre Aufmerksamkeit auf das Thema Migration im Zusammenhang mit der EU-Politik. Die Europawahl wurde dabei als 'Referendum über die Migrations-Flut' bezeichnet. Solche Themen und Parolen haben sich inzwischen im politischen Mainstream etabliert. Bezeichnend ist auch: Das Thema Migration ist zwar für die Mehrheit der Franzos*innen laut Umfragen keine Priorität. Für Personen, die rechten Parteien wie den 'Ressemblement National' oder 'Reconquête' wählen, ist das hingegen das Hauptthema.
Dr. Özgür Özvatan
Co-Leiter der Abteilung Integrationsforschung und Gesellschaftspolitik am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) der Humboldt Universität zu Berlin
"In Deutschland wird das Thema Migration eindeutig von rechten Parteien dominiert. Mit der AfD sehen wir hier eine starke migrationsfeindliche Partei. Aber wir sehen keine Partei, die klar und deutlich migrationsoffen argumentiert. Das heißt nicht, dass andere Parteien sich nicht mit dem Thema beschäftigen: Im Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition gibt es 35 integrations- bzw. migrationspolitische Maßnahmen. Viele Wähler*innen sind progressiver eingestellt als es Spitzenpolitiker*innen glauben. Sie könnten viel mehr für eine offene Migrationspolitik einstehen und damit ein eigenes Profil entwickeln, ohne sich um Wählerverlust Sorgen zu machen."
Von Sara Miranda Gutiérrez
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