MEDIENDIENST: Die Alternative für Deutschland (AfD) hat in Mecklenburg-Vorpommern fast 21 Prozent erreicht. Etliche Kommentatoren und Politiker sehen in der sogenannten Flüchtlingskrise den Hauptgrund für den Erfolg der Rechtspopulisten. Stimmt das?
Alexander Häusler: Es ist ein Fehler zu sagen, der Wahlerfolg der AfD in Mecklenburg-Vorpommern sei eine Folge der Flüchtlingskrise. Die Realität widerspricht dieser These, denn die Flüchtlinge haben nur bedingt Einfluss auf das Leben der Menschen dort. Sowohl der Ausländeranteil als auch die Zahl der Asylsuchenden ist im Bundesland sehr gering.
Der Wahlkampf drehte sich dennoch weitgehend um Fragen der Einwanderungspolitik ...
Ja. Und das ist der größte Erfolg der Rechtspopulisten: Sie diktieren Themen und die anderen Parteien springen prompt darauf an. So hat es die AfD geschafft, dass sich der Wahlkampf in einer Region mit einem sehr geringen Einwanderer- und Muslimenanteil plötzlich um ihre Themen drehte – nämlich um Asylpolitik und ein Burka-Verbot.
Wenn nicht die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ausschlaggebend für das Wahlergebnis war, was war es dann?
Hinter der Flüchtlingsdebatte verbergen sich andere, wichtigere politische Themen. Zum einen das Thema soziale Gerechtigkeit: Vor allem in den neuen Bundesländern haben viele Menschen das Gefühl, dass sie nur bedingt vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren. Sie fühlen sich von der Bundespolitik im Stich gelassen. Dadurch entsteht eine starke Frustration, die von Protestparteien genutzt werden kann. Zum anderen setzt sich eine Gesellschaft besonders in Zeiten starker Zuwanderung intensiver mit Fragen der Identität auseinander. Die Flüchtlinge sind eine Projektionsfläche für diese ungelösten Fragen geworden.
Wie lautet die Antwort der Rechtspopulisten darauf?
Rechtspopulisten haben in der Regel eine sehr verkürzte Antwort. Sie sagen im Grunde: Hier sind „Wir“, da sind die "Fremden". Und die anderen sind für uns eine Gefahr. Menschen, die aufgrund aktueller sozialer Entwicklungen ohnehin verunsichert sind, leuchtet diese einfache Erklärung ein.
Heißt das, wer heute AfD wählt, erteilt damit der Einwanderungsgesellschaft eine klare Absage?
Ja. Denn die AfD ist im Laufe der Zeit zu einer rechtspopulistischen, nationalistischen und zum Teil radikalen politischen Kraft geworden, die den Zuzug von Migranten und die Aufnahme von Flüchtlingen dezidiert ablehnt. Ausgerechnet für Mecklenburg-Vorpommern ist diese Einstellung fatal. Denn nur wenn junge Menschen dorthin ziehen, kann das Land sozial und wirtschaftlich wiederbelebt werden.
ALEXANDER HÄUSLER ist Sozialwissenschaftler und arbeitet am "Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus/Neonazismus" der Hochschule Düsseldorf (FORENA). Er befasst sich mit aktuellen Entwicklungen im Rechtsextremismus und Rechtspopulismus und hat mehrere Bücher über die AfD geschrieben.
Wie hat sich die Einstellung der AfD zum Thema Einwanderung entwickelt?
Seit der Parteigründung im Jahr 2013 hat sich die AfD weitgehend geändert: Von einer liberalen, nationalen Anti-Euro-Partei ist sie zu einer radikal rechten Anti-Einwanderungs-Partei geworden, deren Ansichten sich kaum von denen rechtsextremer Parteien unterscheiden. Man darf jedoch nie vergessen: Rechtspopulisten gestalten ihre Politik oftmals opportunistisch danach, was die Wähler gerade bewegt. So konnte zum Beispiel die stellvertretende Vorsitzende der AfD, Beatrix von Storch, in einer umstrittenen E-Mail schreiben, das Thema Flüchtlinge sei inzwischen „durch“, weshalb sich die Partei mehr auf die Islamkritik konzentrieren solle. Die AfD hat auch vielerorts flüchtlingsfeindlichen und oftmals rassistischen „Bürgerinitiativen“ ein parteipolitisches Dach geboten hat. Dadurch ist die Partei zu einer Art Staubsauger für mehrere – auch rechtsradikale – Bewegungen geworden. Ein Beleg dafür: In Mecklenburg-Vorpommern haben frühere NPD-Wähler bei der Landtagswahl die AfD unterstützt.
Welche Folgen hat diese Entwicklung für die Partei?
Der rechte Rand der Partei wird immer stärker. Das hat man bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern deutlich gespürt: In der Gründungsphase wurde sehr darauf geachtet, dass keine Kontakte zum rechtsnationalen Lager bestehen. Jetzt war es ausgerechnet Marine Le Pen, Chefin der rechtsextremen Partei "Front National" in Frankreich, die als erste der AfD zum Wahlerfolg gratulierte. Diese Entwicklung war jedoch vorhersehbar – spätestens seitdem AfD-Abgeordnete 2014 im Kreistag von Vorpommern-Greifswald für einen Antrag der NPD gestimmt haben.
Es ist nicht das erste Mal, dass im Kontext einer emotional geführten Flüchtlingsdebatte rechtspopulistische beziehungsweise rechtsextremistische Kräfte eine Reihe von Wahlerfolgen erzielen: In den 90er Jahren konnten die Deutsche Volksunion (DVU) und die Republikaner in mehrere Landtage einziehen. Ihr Erfolg war aber kurzfristig. Könnte das auch bei der AfD der Fall sein?
Es gibt durchaus Ähnlichkeiten zur damaligen Zeit. Auch in den 90er Jahren gab es einen plötzlichen Anstieg der Flüchtlingszahlen. Es gab viele rassistische Übergriffe und Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte – wie heute. Der größte Unterschied besteht darin, dass weder die DVU noch die Republikaner einen ausreichend starken politischen Überbau hatten, um einen dauerhaften Erfolg zu sichern. Nachdem die damalige „Flüchtlingskrise“ vorbei war, rutschten beide Parteien allmählich unter die Ein-Prozent-Marke ab. Die AfD ist in dieser Hinsicht anders: Die Zustimmung für ihre Inhalte scheint unabhängig von der Zahl der Flüchtlinge zu sein. Entscheidend ist jetzt die Frage, ob die AfD – anders als die oben genannten Parteien – den Einzug in den Bundestag schaffen wird. Wie wahrscheinlich das ist, werden wir spätestens nächstes Jahr bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen feststellen können.
Interview: Fabio Ghelli
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