Mediendienst: Herr Franz, nach der Wahl im Herbst könnten Sie der erste Sinto im Deutschen Bundestag werden und Reden im Parlament halten. Hilft Ihnen die Erfahrung als „Argumentationstrainer gegen rechte Stammtisch-Parolen“ bei der Vorbereitung?
Romeo Franz: Mal sehen, ob ich gewählt werde. Wir brauchen etwas mehr als 16 Prozent in Rheinland-Pfalz, dann kann das klappen. Was das „Argumentationstraining gegen rechte Stammtischparolen“ angeht: Es ist zwar nicht zur rhetorischen Vorbereitung für Parlamentarier gedacht – aber es kann ja nie schaden, gut argumentieren zu können. Das Training gehört zur Bürgerrechtsarbeit, die ich seit rund 18 Jahren mache. Das Training ist ein tolles Instrument, damit dumpfe Parolen nicht im Raum stehen bleiben. Zumal ich als Sinto Rassismus und Diskriminierung immer noch auch persönlich oder in meinem Umfeld erlebe.
Können Sie Beispiele nennen?
„Sie sehen ja aus wie ein reicher Zigeuner.“ Das war so ein Spruch, den mein Vater sich von einem Vermieter anhören musste, als er zusammen mit meiner Mutter eine Wohnung suchte. Es ist klar, dass man mit so einem Mann nicht ins Geschäft kommt. Und wenn ich an meine Schulzeit zurückdenke: Da haben Klassenkameraden mal Namenskarten auf ihre Tische gestellt, Hitler, Eichmann, Rommel. Der Lehrer schritt nicht ein, die Nazi-Namen blieben auf den Tischen.
Bislang sind Menschen, die ethnische Vielfalt repräsentieren, noch rar im Bundestag. Jetzt kandidieren Sie und andere, wie etwa der schwarze SPD-Kandidat Karamba Diaby. Tut sich da was?
Im Bundestag tut sich was, weil sich was in der Gesellschaft tut. Es sind ja die Bürger, die das Parlament wählen. Wenn Leute wie Karamba Diaby oder ich im Herbst in den Bundestag kommen sollten, dann wäre das einerseits eine Selbstverständlichkeit. Andererseits hat es auch etwas Symbolisches, denn es wollen ja nicht alle eine „bunte Republik“. Rassismus und Antiziganismus sind ja noch da. Abgeordnete wie Diaby oder ich würden ein Signal an alle Minderheiten senden: Es lohnt sich, euch politisch und gesellschaftlich zu engagieren. Da ist jemand, mit dem man sich identifizieren kann. Jemand, der die Probleme kennt. Sinti und Roma, die bis heute diskriminiert werden, kann es vielleicht dabei helfen, Vertrauen in die Institutionen zu fassen.
Im Frühjahr haben Sie erklärt, dass „das Vorurteil Osteuropäer gleich Roma gleich Armutsflüchtling“ falsch sei. Glauben Sie, dass das Thema der sogenannten Armutsflüchtlinge im Bundestagswahlkampf eine Rolle spielen wird? Welche?
Ich fürchte ja, denn damit lässt sich Stimmung machen. Doch der Wahlkampf gibt auch Gelegenheit, gegen populistische Begriffe wie „Asylmissbrauch“ oder „Scheinasylant“ zu argumentieren. Und gegen falsche, überhöhte Einwandererzahlen. Ich werde klarstellen, dass keineswegs nur arme Leute aus Südosteuropa kommen. Sondern auch viele gut ausgebildete, die hier einen Job haben. Und dass es eben Roma gibt, die aus großer sozialer Not und wegen der brutalen Diskriminierung hierher flüchten. Ich bin jüngst nach Bulgarien und Serbien gereist – was ich dort gesehen habe, sind Elend, Verwahrlosung, Korruption und Ungerechtigkeit. Dort findet man Slums ohne Strom, Wasser und ohne sanitäre Einrichtungen. Es gibt zwar Bemühungen von Regierungsseite, Abhilfe zu schaffen. Doch Fördermittel versickern vor Ort, eine effektive Kontrolle fehlt.
Sie haben im Zentralrat deutscher Sinti und Roma mitgearbeitet, nun engagieren sie sich für die jüngst gegründete Hildegard-Lagrenne-Stiftung. Was will die Stiftung?
Ich setze mich dafür ein, dass diese Stiftung ein Erfolg wird. Denn es geht um Bildung, Inklusion und Teilhabe von Sinti und Roma in Deutschland. Wir wollen Chancengleichheit auch bei Arbeit, Wohnen und Gesundheitsversorgung. In Deutschland gibt es massive Defizite bei der Wahrnehmung der Probleme sowie bei speziellen Förderprogrammen für Roma. Das hat auch der zuletzt vorgelegte Bericht der EU-Kommission wieder gezeigt, das war eine rote Karte für Deutschland. Für die nach der Holocaust-Überlebenden und Bürgerrechtlerin Hildegard Lagrenne benannte Stiftung haben sich Roma und Sinti von rund 30 Verbänden zusammengetan. Dies ist auch eine Konsequenz daraus, dass oft über uns geredet wird, aber nicht mit uns. Wir wollen mitsprechen, wir wollen, dass unsere Fachkompetenz anerkannt wird.
Sie kommen aus Oggersheim, ihr Wahlkreis war mal der von Helmut Kohl. Zuletzt gewann hier Maria Böhmer, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Was können Sie uns über Ihren Wahlkreis erzählen?
Natürlich werde ich ständig auf Helmut Kohl angesprochen. Oggersheim kennt halt jeder. Doch dass ich hier kandidiere, hat nichts mit großer Symbolik zu tun. Eher mit einem biografischen Zufall. Ich bin in Kaiserslautern geboren und habe zuletzt im Saarland gelebt. Dann bin ich wieder in die Pfalz gezogen, weil ich es als Musiker bei meinen Tourneen nicht mehr ganz so weit haben wollte. Das Saarland ist ja schon sehr am westlichen Rand des Landes gelegen. Ich empfinde es als glückliche Fügung hierher gekommen zu sein – mein Wahlkreis hat mich toll empfangen und es mir leicht gemacht.
Interview: Hans-Hermann Kotte
Romeo Franz, 1966 geboren in Kaiserslautern, ist Berufsmusiker und Bürgerrechtler. Er ist Direktkandidat im Wahlkreis 208 Ludwigshafen/Frankenthal. Von 2003 bis 2013 war er Vize-Vorsitzender des Landesverbandes der Sinti und Roma in Rheinland-Pfalz und Vorstandsmitglied des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma. 2010 gründete er die Bildungs- und Kulturinitiative der Sinti und Roma. Franz ist auch engagiert bei der neuen Hildegard-Lagrenne-Stiftung für Bildung, Inklusion und Teilhabe. Der Geiger und Pianist hat das Violinenstück "Mare Manuschenge" komponiert, das als akustisches Element in das Mahnmal der ermordeten Sinti und Roma in Berlin integriert ist.
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