Nach den vorläufigen Wahlergebnissen hat die AfD bei der Bundestagswahl 12,6 Prozent der Stimmen erhalten. Sie wird mit dutzenden Abgeordneten im neuen Bundestag vertreten sein. Der MEDIENDIENST hat drei Experten befragt, wie das die Arbeit des Parlaments verändern wird.
Was bedeutet der AfD-Erfolg für den Bundestag?
"Zunächst wird große Unsicherheit über den Umgang mit der AfD herrschen", sagt der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena. Auf lange Sicht werde es schwieriger werden, politische Fragen im Parlament sachlich und ausgewogen zu diskutieren.
"Die Debatten im Bundestag werden härter, emotionaler und polarisierter werden", glaubt auch Wolfgang Schroeder, Politikwissenschaftler von der Uni Kassel. Schröder hat für eine Studie das bisherige Auftreten der AfD in den Landtagen untersucht. "Die anderen Parteien müssen ihre Politik von nun an besser erklären und ihre Argumente schärfen", sagt Schroeder.
Die demokratische Auseinandersetzung wird unter der AfD leiden, befürchtet die Sozialpsychologin Beate Küpper: "Wir erleben hier eine Partei, die versucht, die Leitplanken der demokratischen Debatte zu verschieben. Sie tut das mit Äußerungen, die haarscharf an der Grenze zum Rechtsextremismus sind."
Wie werden sich Debatten über Flucht, Migration und Integration verändern?
Nach Einschätzung von Beate Küpper hat es bereits eine Verschiebung des Meinungsklimas gegeben. "Inzwischen wird das Thema Flüchtlinge vor allem unter dem Aspekt der Inneren Sicherheit diskutiert", so Küpper. Hilfsbereitschaft und Menschenrechte spielten kaum noch eine Rolle. Mit Blick auf Debatten über benachteiligte Gruppen sagt sie: "Wir erleben eine schleichende Normalisierung von Positionen, die wir eigentlich gehofft hatten überwunden zu haben."
Wird es Auswirkungen für Projekte gegen Rassismus geben?
Das hänge davon ab, wie sehr sich die Regierungsparteien von der AfD treiben lassen, sagt der Rechtsextremismusforscher Quent. In den Landesparlamenten habe man gesehen, dass Einrichtungen und Projekte für Demokratie, Integration und gegen Rassismus unter "massiven Beschuss" durch die AfD geraten seien, so Küpper. "Die Partei hat gezielt versucht, deren Arbeit zu behindern".
Was weiß man über die Abgeordneten der AfD?
Von den neuen AfD-Abgeordneten gehören etwa 60 Prozent zum radikalen Flügel um Björn Höcke, 20 Prozent sind eher moderat konservativ und die übrigen 20 Prozent sind nicht klar einzuordnen, da sie bisher nicht exponiert aufgetreten sind, erklärt Politikwissenschaftler Schroeder. Zusätzlich zu den Abgeordneten ziehen etwa 300 bis 400 Mitarbeiter ins Parlament und in die Wahlkreisbüros ein. "Aus einem Teil dieses Pools entwickelt die AfD ihre künftige Partei-Elite, für die Auseinandersetzungen auf der Straße und im Parlament", so Schroeder.
Wie wird sich die Arbeit im Parlament verändern?
Die AfD kann ab jetzt Debatten im Bundestag beantragen, sie kann Gesetzesvorschläge erarbeiten und Anfragen an die Bundesregierung stellen. Bisherige Erfahrungen in den Landesparlamenten zeigen: Die AfD nutzt besonders das Mittel der Anfragen. Jede fünfte Anfrage in neun untersuchten Landesparlamenten kam von der AfD.
Außerdem könne die AfD jetzt versuchen, Untersuchungsausschüsse einzusetzen, so Schroeder. Das habe sie auch schon angekündigt, und zwar um das Vorgehen Angela Merkels während der "Flüchtlingskrise" zu untersuchen. Dass sie das schaffe, sei eher unwahrscheinlich, so Schroeder, weil sie dafür 20 Prozent der Stimmen im Parlament zusammenbekommen müsste. Außerdem werde die AfD in allen parlamentarischen Ausschüssen sitzen.
Rechtsextremismusforscher Quent befürchtet, dass das Parlament in Zukunft als Bühne dienen werde für extreme verbale und formale Angriffe auf die anderen Parteien, die Zivilgesellschaft und die Medien. "Die Erfahrung mit der AfD in Thüringen hat gezeigt, dass es kein Widerspruch für die Partei ist, zuerst auf einer Demonstration gegen Medien und Demokraten zu hetzen und von dort aus zum Presseempfang des Parlaments zu gehen."
Welche staatlichen Mittel bekommt die AfD künftig?
Bislang verfügte die AfD über etwa 12 Millionen Euro jährlich für ihre Arbeit in den Landesparlamenten. Nach dem Einzug in den Bundestag dürfte das nun deutlich mehr werden. Eigentlich sollten damit Parlaments- und Wahlkreisbüros finanziert werden, erklärt Politikwissenschaftler Schroeder. "Wir wissen aber aus Erfahrungen mit der AfD auf Landesebene: Das Geld kommt kaum in den Wahlkreisen an."
Die Partei nutze das Geld laut Schroeder vielmehr, um sich technologisch und kommunikativ in den jeweiligen Parlamenten aufzurüsten, also zum Beispiel ihre Social-Media-Kanäle auszubauen. "In gewisser Weise entspricht das auch ihrer Politik, die ja nicht von bürgernaher Interessenpolitik ausgeht, sondern versucht, emotionsgeladene Argumente gegen die anderen Parteien und für die öffentliche Kommunikation zu sammeln."
Von Carsten Janke
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