Seit dem "langen Sommer der Migration" von 2015 beherrschen Migrations- und Integrationsthemen europaweit die Schlagzeilen und politischen Debatten. Internationale Studien zeigen: Häufig gibt es eine starke Fokussierung auf Negativ-Themen wie gestiegene Kriminalitätsraten, Gewalt unter Flüchtlingen oder die Bedrohung durch "den Islam". Das trifft auch auf Länder zu, die vergleichsweise wenige Flüchtlinge und Migranten aufgenommen haben.
Wie entstehen diese Debatten? Und wie kann man Fakten, Experten und Hintergrundwissen in die Diskussionen und die Berichterstattung einbringen? Dies waren einige der Fragen, die die Teilnehmer auf der Tagung "Media and Migration in Europe" einbrachten. Die vom MEDIENDIENST organisierte Tagung fand am 19. und 20. April 2018 in Berlin statt. Erstmals kamen dabei 18 ausgewählte Projekte und Organisationen aus elf europäischen Ländern zusammen, die sich für eine ausgewogene und sachliche Berichterstattung zu Migrations- und Integrationsthemen einsetzen.
Ziel der Konferenz war es, den gegenseitigen Austausch zu fördern und Ideen der Zusammenarbeit zu entwickeln. Zu den Teilnehmern gehörten Projekte wie “Diversity Media” aus den Niederlanden, das “Media Diversity Institute” aus Großbritannien und die "Neuen deutschen Medienmacher". Sie setzen sich für Vielfalt in den Medien ein, wollen über Vorurteile und Falschmeldungen aufklären und diesen aktiv entgegenwirken. Andere, wie das “Oxford Migration Observatory”, die tschechische Organisation “People in Need/Člověk v tísni” und das italienische Projekt “Open Migration” setzen wie der MEDIENDIENST vor allem auf die Vermittlung von Fakten und Hintergrundwissen. Wiederum andere wie das britische “Ethical Journalism Network” und das Projekt "Media Against Hate" von der “European Federation of Journalists” agieren international, stellen Best-Practice-Beispiele vor, prangern aber auch problematische Berichte an. Viele Organisationen bieten zudem Fortbildungen für Journalisten an.
Unterschiedliche Ausgangspositionen, viele Gemeinsamkeiten
Zwar ist die politische und mediale Landschaft in den Ländern sehr unterschiedlich. Doch fast alle Teilnehmer berichteten davon, dass sich das Klima hinsichtlich Migrations- und Integrationsthemen in den letzten Jahren verschlechtert hat. Besonders dramatisch ist die Lage in Ungarn: Hier werden Projekte, die sich für eine humane und ausgewogene Berichterstattung über Migration einsetzen, als “Staatsfeinde” diffamiert, wie die Leiterin der Medien-Abteilung vom "Hungarian Helsinki Committe", Anikó Bakonyi, im Interview mit dem MEDIENDIENST sagte.
Interview mit Aniko Bakonyi (Hungarian Helsinki Committee)
Insgesamt konnten die Teilnehmenden viele gemeinsame Herausforderungen identifizieren:
- Der Ton in der Berichterstattung über Migration und Flüchtlinge ist in den vergangenen drei Jahren rauer geworden.
- Rechtskonservative und -populistische Parteien haben in fast allen Ländern den politischen und medialen Diskurs über diese Themen beeinflusst.
- Soziale Medien, Falschmeldungen und Hate Speech beeinflussen zunehmend die Debatten.
- Die direkt Betroffenen (Einwanderer, Flüchtlinge, Vertreter von Minderheiten) kommen nur sehr selten zu Wort.
- Das Thema Migration nimmt oft eine zentrale Rolle in der Medienberichterstattung ein und wird auf ähnliche Weiste diskutiert – unabhängig davon, wie viele und welche Flüchtlinge und Migranten in dem Land aufgenommen wurden.
- Migration und Flucht scheinen häufig stellvertretend für andere Themen wie Abstiegs- oder Zukunftsängste debattiert zu werden. Soziale Fragen wie Armut, Arbeitslosigkeit oder Frauenrechte werden in Bezug auf die eigene Gesellschaft jedoch vernachlässigt.
Die Tagungsgäste waren sich einig, dass eine verstärkte Zusammenarbeit sinnvoll wäre. Dazu wurden Ideen entwickelt, die der MEDIENDIENST begleiten möchte. Dazu gehören der Austausch von Daten und Studien, länderübergreifende und vergleichende Recherchen, Projektbesuche und Recherchereisen, Fortbildungen zu strategischen Fragen und die Vermittlung von Experten aus anderen Ländern.
Teilnehmende Projekte
⇒ Associazione Carta di Roma
⇒ Diversity Media
⇒ Ethical Journalism Network
⇒ Institut neue Schweiz
⇒ La Cimade
⇒ Media Against Hate
⇒ Media Diversity Institute
⇒ Migration Online
⇒ Migration Policy Group
⇒ Neue deutsche Medienmacher
⇒ Norsensus Mediaforum
⇒ Open Migration
⇒ Oxford Migration Observatory
⇒ People in Need
⇒ The Hungarian Helsinki Committee
⇒ Uchodzcy.info
Von Fabio Ghelli und Rana Göroğlu
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