Am 14. Februar 1989 führte der Landtag in Schleswig-Holstein das Kommunalwahlrecht für Ausländer ein. Nicht für alle, sondern für Staatsangehörige aus Dänemark, Irland, Holland, Norwegen, Schweden und Schweiz. Zu Erklärung: Die Initiative ging von der dänischen Minderheit im Südschleswigschen Wählerverband (SSW) aus, die sich ungerecht behandelt fühlte. In den genannten Ländern durften nämlich Ausländer – auch Deutsche – an Lokalwahlen teilnehmen. Also sollte das auch umgekehrt gehen. Ungefähr eine Woche später verabschiedete das Land Hamburg eine ähnliche Gesetzesänderung, die allerdings für alle im Stadtstaat residierenden Ausländer galt.
Die Entscheidungen kamen während einer andauernden, intensiven Debatte über mehr Bürgerrechte für ausländische Einwohner in ganz Deutschland. Während SPD und Grüne die Teilhabe am politischen Leben als Bestandteil für Integrationsprozesse sahen, beriefen sich CDU, aber auch die Republikaner und die Deutsche Volksunion auf Artikel 20 des Grundgesetzes, laut dem alle Staatsgewalt "vom Volke" ausgeht. Wenn man als „Staatsvolk“ die Gemeinschaft der Staatsangehörigen versteht, kann das Wahlrecht allein durch eine Einbürgerung erworben werden, so das Argument. Schließlich sah das Bundesverfassungsgericht am 31. Oktober 1990 die Konservativen im Recht und beschloss, dass das Kommunalwahlrecht für Ausländer mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist.
Trotz wiederholter Versuche, die Debatte neu aufzurollen, ist Deutschland bis heute in Sachen Wahlrecht für Ausländer kaum vorangekommen. Inzwischen zählt die Bundesrepublik zu einer Minderheit unter den europäischen Ländern, die Drittstaatangehörigen noch kein Wahlrecht eingeräumt hat.
In 16 von 28 EU-Ländern dürfen Ausländer an lokalen Wahlen teilnehmen. Das erste Länd, das eine entsprechende Reform einführte, war Schweden im Jahr 1975. Im nordeuropäischen Königreich wird das Kommunalwahlrecht schon lange als wichtiger Schritt zu einer erfolgreichen Integration gesehen – bis heute ist die Beteiligung von Drittstaatsangehörigen anhaltend hoch. Darauf folgten 1981 Dänemark und vier Jahre später die Niederlande. Auch in Finnland dürfen seit 1991 alle Ausländer ihre Stimme abgeben.
Auch Deutschland musste für die europäische Integration rechtlich nachjustieren: Mit dem Europa-Artikel zur Änderung des Grundgesetzes im Jahr 1992 ermöglichte Deutschland den Staatsbürgern der Europäischen Gemeinschaft (EG), an Kommunalwahlen teilzunehmen. "Damit fing der von den deutschen Konservativen vertretene 'Volksbegriff' an zu wackeln", sagt Derek Hutcheson, Mitverfasser einer Studie des Europäischen Parlaments über Wahlrechte in der EU.
1994 verabschiedete der Europäische Rat schließlich eine Richtlinie, die das kommunale Wahlrecht für alle Staatsbürger der EG forderte. In den folgenden Jahren führten immer mehr Länder Gesetzesänderungen ein, die es auch Drittstaatsangehörigen ermöglichten, an Lokalwahlen teilzunehmen: Estland im Jahr 1997, Litauen und Slowenien 2002, Luxemburg und die Slowakei 2003, Belgien und Ungarn 2004, Irland und Griechenland 2010.
Einschränkungen werden abgeschafft
Hier gelten unterschiedliche Voraussetzungen: So dürfen in Estland, Litauen und der Slowakei nur die Drittstaatsangehörigen wählen, die acht Jahre im Land waren und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis haben. In den anderen Ländern reicht hingegen ein drei- bis fünfjähriger Aufenthalt.
In Spanien, Portugal und Großbritannien ist das Wahlrecht für Drittstaatsangehörige an bilaterale Verträge gebunden, die zum Teil auf die koloniale Geschichte dieser Länder zurückgeht. So dürfen in Spanien und Portugal die Staatsbürger einiger süd- und zentralamerikanischer Länder an Kommunalwahlen teilnehmen, während in Großbritannien die Commonwealth-Bürger weitreichende Wahlrechte genießen.
"In Europa gibt es einen eindeutigen Trend, das Wahlrecht für Drittstaatsangehörige zu erweitern“, sagt Hutcheson. „Auch in Spanien, Portugal und Großbritannien debattiert man inzwischen darüber, ob die Reziprozitätsklausel nicht abgeschafft gehört.“
Die Debatte geht in die nächste Runde
In Deutschland taucht die Debatte über das Wahlrecht für Ausländer immer wieder auf. Fortschritte gab es allerdings nicht. 1997 stellten sieben Länder im Bundesrat einen Gesetzantrag für eine Reform des Grundgesetzes, die das kommunale Wahlrecht auch für Drittstaatangehörige ermöglichen sollte. Ein Mehrheitswechsel blockierte allerdings die Initiative. Zwölf Jahre später unternahm die Linke 2009 einen weiteren – erfolglosen – Versuch.
Nun könnte die Debatte bald wieder in Schwung kommen. Denn im Koalitionsvertrag der Schlewsig-Holsteinischen Landesregierung aus SPD, Grünen und SSW von 2012 heißt es, „wir bekennen uns zu der Einführung eines allgemeinen Ausländerwahlrechtes auf kommunaler und Landesebene für alle Menschen in Schleswig-Holstein“. Auf Nachfrage des Mediendienstes erklärt das Landes-Innenministerium allerdings, dass es noch keine konkreten Pläne für die Umsetzung gibt.
Seit Ende Januar 2014 prüft außerdem der Staatsgerichtshof in Bremen eine Erweiterung der Wahlrechte für Kommunal- und Landtagswahlen: Das Parlament des Landes Bremen, die Bremische Bürgerschaft, hat bereits in erster Lesung ein Gesetz verabschiedet, nach dem Drittstaatsangehörige an der Wahl des Kommunalparlaments teilnehmen dürfen. Zusätzlich will das Land EU-Bürgern künftig ermöglichen, an Landtagswahlen teilzunehmen. Damit würde Deutschland zu den Vorreitern in Europa zählen.
Von Fabio Ghelli
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