Seit 2021 steigt die Zahl der Ausländer*innen, die die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten. 2024 waren es 291.955 Personen – 46 Prozent mehr als im Vorjahr (mehr zu den bundesweiten Zahlen hier). Dabei handelt es sich nur um einen Teil der Personen, die einen Antrag gestellt haben, wie eine Befragung des Mediendienstes unter den 50 bevölkerungsstärksten Städten Deutschlands zeigt.
Allein im Jahr 2024 sind in den 47 Städten, die die Befragung beantwortet haben, knapp 211.400 Einbürgerungsanträge eingegangen. Die meisten Anträge wurden in Berlin (ca. 44.000 Anträge), in München (20.600), Hamburg (19.800) und Bremen (11.300) gestellt. In den meisten Städten wurden deutlich mehr Einbürgerungsanträge gestellt als im Vorjahr: In München, Bremen, Chemnitz und Krefeld hat sich die Zahl der Anträge in etwa verdoppelt. In Berlin und Aachen ist sie um das 2,5-Fache gestiegen. In Heidelberg hat sie sich mehr als verdreifacht. Die meisten Anträge wurden in fast allen Städten von Syrern gestellt – gefolgt von Antragstellenden aus der Türkei und dem Irak.
In 30 von 37 Städten, die Daten zu den offenen Anträgen genannt haben, ist der Rückstau im Vergleich zum Vorjahr gestiegen: In München und Heidelberg um rund 85 Prozent, in Chemnitz und Ludwigshafen hat er sich mehr als verdoppelt. In Mannheim war die Zahl der offenen Anträge mehr als 2,5 Mal so hoch. Besonders hoch ist der Bearbeitungsstau in den größeren Städten: Die höchsten Antrags-Berge gibt es demnach in München (rund 33.000 offene Anträge), Hamburg (ca. 32.000) und in Bremen (13.000). Im Regierungspräsidium Darmstadt, das u.a. die Einbürgerungsanträge aus Frankfurt und Wiesbaden bearbeitet, gibt es derzeit rund 28.000 offene Anträge. In Berlin waren Ende 2023 rund 40.000 Anträge in Bearbeitung; für 2024 konnte das Landesamt für Einwanderung keine Zahlen nennen.
Fast alle befragten Städte haben Maßnahmen ergriffen, um den Bearbeitungsstau abzubauen. Mehr als die Hälfte haben das Verfahren weitestgehend digitalisiert – oder planen, dies zeitnah zu tun. Fast alle haben ihr Personal aufgestockt: Bremen, Duisburg und Karlsruhe haben es fast verdoppelt, Dortmund verdreifacht und Leipzig sogar verfünffacht.
Bearbeitungszeit meist mehr als ein Jahr
Nicht alle Personen, die sich gerne einbürgern lassen würden und die Kriterien dafür erfüllen, können einen Antrag stellen: Bis zu einem Termin kann es laut Angaben vieler Städte mehr als ein Jahr dauern. In drei Viertel der Städte, die Daten zur durchschnittlichen Bearbeitungszeit geliefert haben, lag diese über einem Jahr. Derzeit werden in vielen Städten Anträge bearbeitet, die 2023 gestellt wurden.
Es ist deshalb unklar, in welchem Maße die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts, die vor knapp einem Jahr in Kraft trat, einen Einfluss auf die aktuelle Einbürgerungsstatistik hat. Von der Möglichkeit, sich im Fall von besonderen Integrationsleistungen (§ 10 Abs. 3 StAG) nach weniger als fünf Jahren einbürgern zu lassen (sogenannte Turbo-Einbürgerung) haben in den befragten Städten wenige Antragstellende Gebrauch gemacht: In fast allen Städten, die Daten dazu genannt haben, lag die Zahl der Anträge auf eine "Turbo-Einbürgerung" im einstelligen Bereich. Ausnahmen sind Essen (47 Anträge auf Turbo-Einbürgerung), Oberhausen (43), Düsseldorf (16), Rostock (15) und Nürnberg (12).
Ausgeschöpftes Einbürgerungspotenzial deutlich gestiegen
Etwa 20 Jahre lang lag die Zahl der Einbürgerungen in Deutschland etwa um die 100.000 Personen im Jahr.
Viele Personen, die zehn Jahre oder länger in Deutschland lebten, stellten keinen Antrag. Somit blieb das sogenannte ausgeschöpfte Einbürgerungspotenzial gering. 2024 ist es gestiegen – von 3,6 Prozent im Vorjahr auf 5,1 Prozent. Das zeigen neue Zahlen des Statistischen Bundesamtes. In den östlichen Bundesländern war es besonders hoch: 9,3 Prozent in Thüringen, 8,8 in Sachsen-Anhalt, 8,3 Prozent in Brandenburg.
Viele Eingebürgerte aus Syrien
Wie schon in den vergangenen Jahren ließen sich 2024 vor allem Menschen aus Syrien, der Türkei und dem Irak in Deutschland einbürgern. Besonders stark zugenommen haben die Einbürgerungen von Russ*innen: 2024 waren es rund 13.000 – mehr als sechsmal so viele wie im Vorjahr. Die Zahl der Einbürgerungen türkischer Staatsangehöriger hat sich im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt.
Auch wenn anzunehmen ist, dass nur wenige Anträge aus dem vergangenen Jahr vollständig bearbeitet wurden, besteht die Möglichkeit, dass viele russisch- und türkischstämmige Personen die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt haben, weil sie nach der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts beide Staatsangehörigkeiten behalten können.
Reform des Staatsangehörigkeitsrecht 2024
Die Ampelkoalition hat die Voraussetzungen für Einbürgerungen (StAG §10) mit dem Staatsangehörigkeits-Modernisierungsgesetz umfassend überarbeitet. Das Gesetz trat Ende Juni 2024 in Kraft. Die wichtigsten Änderungen:Quelle
>> Kürzere Fristen bei Aufenthaltsdauer: Ab jetzt können Menschen sich grundsätzlich schon nach fünf statt bislang acht Jahren Aufenthaltsdauer in Deutschland einbürgern lassen (§10 Abs. 1). Personen, die "besondere Integrationsleistungen" vorweisen können, dürfen schon nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland einen Antrag auf Einbürgerung stellen – zuvor waren es fünf Jahre. Besondere Integrationsleistungen sind etwa Deutschkenntnisse auf C1–Niveau (§10 Abs. 3).
>> Leichtere Einbürgerung von Kindern: Kinder, die in Deutschland geboren werden, können automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, wenn ein Elternteil seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland ist (§10 Abs. 2).
>> Doppelte Staatsbürgerschaft erlaubt: Wer sich einbürgern lassen will, darf ab jetzt auch die bisherige Staatsbürgerschaft des Herkunftslandes beibehalten. Vorher hing das davon ab, aus welchem Herkunftsland die Person kam. Menschen mit der Staatsbürgerschaft eines anderen EU–Landes etwa durften ihren alten Pass behalten; in der Regel mussten Einbürgerungswillige die Staatsbürgerschaft ihres Herkunftslandes bislang aber aufgeben.
>> Optionspflicht entfällt: Früher mussten sich viele Kinder von Einwanderern, die sich einbürgern ließen, zwischen ihrem 18. und 22. Geburtstag entscheiden, welchen der beiden Pässe sie dauerhaft behalten wollen. Diese Pflicht entfällt
>> Bekenntnis zur "historischen Verantwortung Deutschlands": Zusätzlich zum bisherigen Bekenntnis zur freiheitlichen Demokratie sollen Einbürgerungswillige sich zur historischen Verantwortung Deutschlands, die aus dem Nationalsozialismus resultiert, bekennen (§10 Abs. Abs. 1 Nr. 1a.). Wie das in der Praxis umsetzbar sein soll, ist zweifelhaft, so etwa die Antisemitismus-Expertin Kati Lang im MEDIENDIENST-Interview.
>> Eigenständig Lebensunterhalt sichern: Wer sich einbürgern lassen will, muss selbstständig für den eigenen Lebensunterhalt aufkommen (§10 Abs. 1 Nr. 3). Die Ausnahmeregelungen hierfür wurden verschärft. Wer nicht darunter fällt, für den kommt nur eine "Ermessenseinbürgerung" über die Härtefallregelung in Frage.
>> Ausnahmen für Gast– und Vertragsarbeiter*innen: Personen, die der Gastarbeiter*innen–Generation angehören oder als Vertragsarbeiter*innen in der DDR waren, erhalten Erleichterungen beim ansonsten erforderlichen Sprachnachweis (B1-Niveau) (§10 Abs. 4). Auch sind sie davon ausgenommen, für den eigenen Lebensunterhalt selbstständig aufzukommen – dürfen also etwa Sozialhilfe oder Bürgergeld beziehen (§10 Abs. 1 Nr. 3a).
Das Staatsbürgerschaftsrecht in Deutschland war lange Zeit sehr restriktiv geregelt. Bis 2000 galt ausschließlich das Abstammungsprinzip: Demnach war nur Deutsche*r, wer auch deutsche Eltern hatte. Mit einer Gesetzesreform im Jahr 2000 wurde auch das "Geburtsortsprinzip" eingeführt. Seitdem konnten Kinder, die keine deutschen Eltern haben, aber hier geboren sind, die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten.
Von Fabio Ghelli, Elisabeth Schmidt-Ott
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