Die Einschaltquote gilt als valider Maßstab für den Erfolg einer Fernsehsendung. Je weniger Zuschauer einschalten, desto weniger gern schalten Werbekunden Spots. Das macht die Einschaltquote nicht nur zu einem mächtigen Meinungsinstrument, sondern auch zu einem Milliardengeschäft. Die Quote entscheidet bei Deutschlands wichtigsten Sendern über Karriere, Erfolg und Absetzung.
Auftraggeber der kontinuierlichen Fernsehforschung in Deutschland ist seit 1988 die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF), ein Zusammenschluss der Senderfamilien ARD, ProSiebenSat.1, Mediengruppe RTL Deutschland und ZDF. Sie machen zusammen 60 Prozent des gesamten Marktanteils in Deutschland aus. Seit ihrer Einführung wird die Einschaltquote von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Nürnberg erhoben.
Das Verfahren, bei dem Messgeräte an Fernsehern angebracht werden, ermittelt, wann ein Fernseher auf welchem Kanal eingeschaltet ist. Die Entwicklung der Geräte geht zurück in die 1960er Jahre. Die Analyse ist so konzipiert, dass die Geräte immer den ganzen Haushalt erfassen. Insgesamt gibt es 5.000 Haushalte mit Messgeräten, in denen 11.000 Personen leben und deren Fernsehverhalten täglich erfasst wird. Die Ergebnisse werden auf die Gesamtbevölkerung von 80,5 Millionen hochgerechnet.
Die Gruppe der Erfassten setzt sich überwiegend aus Deutschen zusammen, aber auch Ausländer aus unterschiedlichen EU-Ländern sind repräsentativ vertreten. Lediglich sogenannte Drittstaatenausländer, die nicht aus einem EU-Land stammen, kommen hierbei zu kurz: Sie werden mit 58 Teilnehmern in der TV-Quotenmessung berücksichtigt, wie das AGF erläutert. Bei insgesamt 11.000 Teilnehmern entspricht das gerade einmal 0,5 Prozent. Ihr Anteil an der Bevölkerung liegt mit rund 4,4 Millionen dagegen zehn Mal so hoch.
Warum ein Teil der Bevölkerung nicht erfasst wird:
Robert Nicklas von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) findet es "logisch, dass man auf Deutsche und EU-Staatsbürger aus ist". Der Leiter der Abteilung Messtechnik und Methode hat zwei Erklärungen für die mangelnde Erfassung von Zuschauern mit Herkunft in afrikanischen und arabischen Ländern, der Türkei oder Russland: Erstens habe die GfK nicht den Auftrag bekommen, diese Personengruppe zu berücksichtigen. Zweitens habe das methodische Gründe: "Über Deutsche und EU-Mitglieder wissen wir Forscher am genauesten Bescheid", sagt Nicklas.
Damit die 5.000 Messgeräte eine möglichst hohe Repräsentativität erreichen, orientiert sich die GfK bei der Auswahl der Haushalte an den – im Fachjargon sogenannten – "Außenvorgaben", also daran, wie eine Gesellschaft prozentual beschaffen ist. Diese Angaben entnehmen Meinungsforscher im Regelfall einer allgemein anerkannten "Grundgesamtheit", die über den Mikrozensus bestimmt wird.
Der Mikrozensus enthält Informationen über Alter, Geschlecht und Wohnort einer angemeldeten Person. Nach Ansicht des AGFs und der GfK sind diese Daten besonders wichtig. "Für Drittstaatenausländer liegen diese Informationen jedoch nicht so dezidiert vor wie für Deutsche und andere EU-Staatsbürger", erklärt Nicklas.
Die Fernsehquote stützt sich jedoch nur indirekt auf die Zahlen des Mikrozensus. Sie verwendet die Zahlen und Angaben der jährlichen Studie der Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse, kurz agma, die sich wiederum aus Zahlen des Mikrozensus speist. Dort liegen aktuelle statistische Daten aus dem Jahr 2011 vor, als die letzte Auswertung für den Mikrozensus stattfand.
Prinzipiell spräche nichts dagegen, "die ganze Bevölkerung mitzunehmen", sagt GfK-Experte Nicklas. Doch das mache die Studie auch in Bezug auf andere Kriterien für die Aufnahme von Haushalten nicht. "Wir haben ja zum Beispiel nur private Haushalte im Panel. Viele fragen daher: wie ist es mit Wohnheimen, Ferienwohnungen, Public Viewing Orten während Fußballmeisterschaften?"
Die Zusammensetzung könnte sich bald ändern
Die Idee, das Panel zu erweitern, sei grundsätzlich da. So gibt es laut Nicklas Bestrebungen, das Fernsehverhalten von Ausländern aus Drittstaaten zu untersuchen. Für die Macher der Serie "Türkisch für Anfänger" zum Beispiel, die 2006 in der ARD angelaufen ist, wären solche Ergebnisse sicher interessant. Allerdings seien Sender der öffentlich-rechtlichen Anstalten in werbefreien Zeiten nicht auf Profit aus, während Profitabilität der Hauptgrund ist, warum es die TV-Quote überhaupt gibt. Die Interessen der Auftraggeber sind unterschiedlich. Neue Erfassungsmethoden hätten vermutlich wirtschaftliche Konsequenzen.
Doch eine breitere Erfassung könnte überraschende Gewinner hervorbringen. "Gerade bei RTL nutzen viele Nicht-EU-Ausländer das Programm. Aber die Entscheidungsträger bei RTL müssen sich ja mit den anderen in der AGF auf eine gemeinsame Paneldefinition einigen", so Nicklas. Das führe dazu, dass von Zeit zu Zeit zusätzliche Studien in Form von Befragungen bei der GfK in Auftrag gegeben werden. Nicklas zum Beispiel hat Ende der 90er Jahre ein Panel mit türkischen Haushalten aufgebaut.
Unter Kritikern ist das Verfahren der TV-Quotenmessung schon lange umstritten. Sie beklagen, dass die Zusammensetzung der Teilnehmer die Gesellschaft nicht angemessen repräsentiere. Karl-Heinz Hofsümmer, Leiter des Bereichs Methode bei der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung pflichtet bei: "Die Grundgesamtheit der AGF ist nicht in Stein gemeißelt."
Jährlich müsse die AGF rund 20 Prozent neue Teilnehmer anwerben, also um die 1.000 Haushalte mit gut 2.000 Personen, so Hofsümmer. Prinzipiell bietet das dem AGF die Möglichkeit, die Grundgesamtheit schrittweise zu erweitern. Diverse kleine Schritte in diese Richtung hat es bereits gegeben. Jahrelang hat man zum Beispiel Kinder erst ab einem Alter von sechs Jahren zugelassen, dann wurde das Alter auf drei Jahre herabgesetzt. Auch ostdeutsche Zuschauer sind nach der Wende nachträglich in das Panel einbezogen worden.
"Das nächste, was kommt", sagt Hofsümmer, "ist die Messung des Fernsehschauens an Computern". Dann werde die Messung an Tablets und Smartphones in Angriff genommen, aber das sei technisch nicht so einfach. Ausschließlich über den Computer schauen derzeit lediglich drei Prozent der Bevölkerung fern. Das sind zwei Prozent weniger als es Drittstaatenausländer in Deutschland gibt.
Von Dena Kelishadi
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